Die neun Opfer von Menschenhandel, die derzeit in einem Schutzprogramm leben, sind jene, die sich wehren: Sie haben sich entschieden, mit Polizei und Justiz zusammenzuarbeiten, um jene vor Gericht zu bringen, die sie ausgebeutet haben. Sie sagen also vor Gericht gegen Menschenhändler oder Menschenhändlerinnen aus – und das kann gefährlich sein.
Einige von ihnen sind unterernährt und essen zum ersten Mal seit 15 Jahren regelmässig.
Die Opfer wurden zuvor meist sehr schlecht behandelt, sagt Thomas Roth vom Verein Trafficking, der sich um sie kümmert. «Einige essen seit 15 Jahren zum ersten Mal wieder regelmässig», nennt er ein Beispiel. «Sie sind zum Teil unterernährt oder sie haben Blessuren, weil sie regelmässig geschlagen wurden.»
Im Programm erhalten sie dann die Unterstützung, die sie brauchen. So hilft der Verein Trafficking, Psychotherapien zu organisieren oder begleitet die Opfer zu Prozessen. Dabei stellt er sicher, dass sie nicht verfolgt werden. Schliesslich müssen die Opfer sicher sein, dass die Täterschaft ihren Wohnort nicht kennt.
Obwohl das Leben von Opfern oft geprägt ist von Ausbeutung und Gewalt, zeigen nur sehr wenige ihre Peiniger an. Dies nicht zuletzt, weil viele Opfer kein Vertrauen zur Polizei hätten, meint Thomas Roth.
Opfer werden zu Täterinnen
Dieses Misstrauen komme unter anderem davon, dass die Polizei die Opfer oft nicht als solche erkenne. So kontrolliert sie bei Razzien in Bordellen die Aufenthaltspapiere der ausländischen Prostituierten.
Sind diese ungültig, machen sich die Frauen strafbar und werden ausgeschafft – ohne dass zuvor abgeklärt wird, weshalb sie im Bordell arbeiten und weshalb sie dies ohne Bewilligung tun. So übersehe man Opfer von Menschenhandel.
Um das zu ändern, ist die Zusammenarbeit zwischen Ämtern, Organisationen und der Polizei wichtig, sagt Sonja Roest. Sie leitet die Fachstelle Gewaltschutz und Opferhilfe im Basler Justizdepartement. Seit man dies in Basel vermehrt mache, gebe es mehr Prozesse.
Den Startschuss dafür lieferte die Basler Regierung 2017. Damals erklärte sie den Kampf gegen Menschenhandel zu einem ihrer Schwerpunkte. In der Folge kam es zu ersten Prozessen. Und derzeit leben nun eben neun mutmassliche Opfer von Menschenhandel in einem Schutzprogramm.
Hinweise auf Verbrechen erkennen
«Bei der Bekämpfung von Menschenhandel war Basel eines der Schlusslichter der Schweiz», sagt Sonja Roest. «Nun konnten wir uns aber an die Spitze vorkämpfen. Das ist super.»
Roest stützt sich auf die kantonale Polizeistatistik. Diese besagt, dass es 2022 in Basel-Stadt 20 Anzeigen wegen Verstosses gegen Artikel 182 gab. Schweizweit waren es im selben Zeitraum 63.
Geschultes Personal ist im Kampf gegen Menschenhandel besonders wichtig, sagt Roest – nicht nur bei der Polizei. Menschenhandel gibt es nämlich nicht nur im Sexgewerbe, sondern auch auf Baustellen, in Nagelstudios, in Restaurants oder bei Haushaltshilfen.
«Wenn das Gesundheitspersonal oder diejenigen, die Baustellenkontrollen durchführen, gezielt geschult werden, können sie Hinweise auf Menschenhandel besser erkennen», sagt Roest.
Dass sich Basel-Stadt bei der Bekämpfung von Menschenhandel mittlerweile deutlich stärker engagiert als vor 2017, freut Thomas Roth vom Verein Trafficking.
Noch schwieriger als in Bordells, sei es nämlich, Opfer zu erkennen, die in privaten Haushalten arbeiteten: «Das Kindermädchen, die Reinigungskraft oder den Handlanger im privaten Haushalt sieht man ja kaum.»