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Reisen in Konfliktgebiete Ex-Deza-Chef: «Ich verschwieg meiner Frau zweimal den Reiseort»

Eine Ratsdelegation mit Nationalratspräsidentin Irène Kälin reiste heute nach Kiew. Einer, der rund 20 Konfliktgebiete besucht hat, ist der ehemalige Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) Walter Fust.

Walter Fust

Ehemaliger Deza-Chef

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Walter Fust leitete von 1993 bis 2008 die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Danach war er von 2008 bis 2010 Leiter des Humanitären Weltforums in Genf und führte mehrere Mandate bei der UNO. Bis 2017 war er zudem Präsident des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt (Global Crop Diversity Trust).

SRF News: Wie viele Reisen in welche Konfliktgebiete haben Sie unternommen?

Walter Fust: Über die 15 Jahre im Amt als Deza-Chef waren es sehr viele Reisen in etwa 20 Kriegsgebiete wie unter anderem Ruanda, Kongo und den Jugoslawien- und Kosovo-Konflikt.

Hatten Sie bei Ihren Reisen nie ein mulmiges Gefühl?

Reisen in Kriegsgebiete sind nie ohne Risiken. Aber man kann sich so vorbereiten und organisieren, dass man die Risiken möglichst tief halten kann. Dabei gibt es eine ganze Liste von wichtigen Faktoren, wie die Routenwahl, den Begleitschutz oder besonders gefährdete Gebiete.

Ein gewisses Risiko war immer da, aber es durfte nicht zu Angstzuständen führen.

Einmal musste ich während der Nato-Bombardierungen von Kroatien nach Belgrad reisen. Dort war ich in einer Mission, um vor Ort abzuklären, welche humanitäre Hilfe die Schweiz leisten könnte. Eigentlich war es verboten, im Land zu reisen – das war ein eigenartiges Gefühl, alleine auf der Autobahn unterwegs zu sein und nicht zu wissen, ob man heil durchkommt. Es braucht auch eine Portion Glück und im erhöhten Risikoumfeld muss man einfach vorsichtiger sein.

Wie wurde für Ihre Sicherheit gesorgt?

Das hängt stark vom Gastgeber ab, welches Dispositiv er vornimmt, wenn Delegationen eintreffen. Bei mir war das in dem Sinne nicht der Fall, weil ich lokale Mitarbeiter hatte, die sich vorbereitet hatten. Wir hatten keine militärischen oder polizeilichen Schutzdispositive – denn das wäre erst recht aufgefallen.

So wurden Walter Fusts Reisen geplant

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Walter Fust mit Micheline Calmy-Rey und Justin Koutaba
Legende: Deza-Direktor Walter Fust (rechts) mit Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (links) und Justin Koutaba, Minister für Jugend und Beschäftigung von Burkina Faso (Mitte) anlässlich der Jahreskonferenz der Entwicklungszusammenarbeit 2007 in Genf. Keystone

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) setzt die Aussenpolitik des Bundesrats in der Humanitären Hilfe, der Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit und auf multilateraler Ebene um. Insofern war es die Aufgabe von Walter Fust als Deza-Chef, die humanitäre Lage vor Ort anzuschauen.

Er besuchte rund 20 reine Konfliktgebiete wie Ruanda, Kongo, den Jugoslawien- und Kosovo-Konflikt, Afghanistan, Pakistan, Äthiopien, Eritrea, Palästina, Irak, Israel, Libanon, Syrien und Armenien.

Fust zufolge erfolgten seine Reisen teilweise auf Einladungen, aber auch Absprachen. Denn es ging darum, wie die Einsätze geplant, umgesetzt und welche Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Es wurde nicht in Delegationen gereist, sondern in kleinen Zweier- oder Dreiergruppen.

Die Zeitpläne während der Reisen wurden laut Fust vor Ort von Zeit zu Zeit angepasst. Man musste gewisse Routenänderungen vornehmen, wenn zum Beispiel Brücken gesperrt waren oder es Zwischenfälle gab.

Gab es Reisen, bei denen Sie sich nicht sicher gefühlt haben?

Das gab es immer wieder in Form von Gefahren, Entführungen oder Unfällen. Ein gewisses Risiko war immer da, aber es durfte nicht zu Angstzuständen führen, denn Angst ist nie ein guter Begleiter.

In den Kriegsgebieten im Kongo, unmittelbar nach dem Genozid in Ruanda, gab es gewisse Hinterhalte oder Unklarheiten von der Polizei und militärischen Stellen, wie sie sich ausländischen Gästen gegenüber zu verhalten hatten. Da war es wichtig, gut zuzuhören und unsere Absichten darzulegen.

Schwierig war es manchmal auch an gewissen Orten, wo es militante Gruppierungen gab, die herausfinden wollten, wo gewisse humanitäre Einsätze erfolgten. Dann versuchten sie, sich als Schutzpersonal auszugeben – aber eigentlich waren sie an den Hilfskonvois interessiert.

Welches bereiste Konfliktgebiet war für Sie am heikelsten?

Im ehemaligen Jugoslawien in Serbien, teils auch im Kosovo gab es während verschiedener Reisen schwierige Situationen. Als ich zum Beispiel wegen der humanitären Aktion in Kosovo den Schutz der Serben brauchte und den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic sehen wollte. Das war natürlich nicht so einfach, mit verbundenen Augen im Auto in der Nacht an den entsprechenden Ort gefahren zu werden. Es gibt einfach Momente, in denen man einer gewissen Partei ausgeliefert ist, auf einen guten Ausgang hofft und sich entsprechend verhält.

    Was hat Ihre Familie bei Ihren Reisen empfunden?

Natürlich waren Befürchtungen da und manchmal gab es schon bange Situationen, ob ich wieder heil zurückkommen würde. Ich gestehe, dass ich zweimal meiner Frau verheimlichte, wohin ich gehe, um keine unnötigen Ängste aufkommen zu lassen. Aber meine Familie musste einfach anerkennen, was dienstliche Notwendigkeit war und zur Pflichterfüllung gehörte.

Das Gespräch führte Saya Bausch.

Rendez-vous, 26.04.2022, 12:30 Uhr ; 

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