Den Rücktritt von Bundesrätin Simonetta Sommaruga hatte niemand auf der Rechnung. Der Grund ist einfach: Die Umwelt- und Energieministerin ist federführend in der Prävention der Energiemangellage, und niemand hätte es verstanden, wenn sie, mitten in den Vorbereitungsarbeiten und kurz vor der Winterzeit, den Bettel hingeschmissen hätte.
Der Schlaganfall ihres Mannes, des Schriftstellers Lukas Hartmann, vor zehn Tagen hat alles verändert. Sichtlich bewegt legte die Bundesrätin dar, dass sie nach diesem plötzlichen Einschnitt in ihrem Leben nicht einfach so weitermachen könne wie bisher, mit einem Leben, in dem das Amt immer höchste Priorität hat und eine permanente zeitliche und innere Präsenz verlangt. Sie wolle jetzt ihre Schwerpunkte im Leben anders setzen. Diesem Entscheid für ihren Mann, für die Familie, ist höchster Respekt zu zollen.
Durchzogene Bilanz bei Volksabstimmungen
Ein wenig leichter dürfte der Entscheid Sommaruga gefallen sein, weil der Bundesrat heute den von ihr und von Amtskollege Parmelin verantworteten bisherigen Massnahmen gegen die Energiemangellage Erfolg attestierte. Die Stromversorgungssicherheit der Schweiz im Winter 2022/23 sei, Stand heute, nicht gravierend gefährdet.
Wenn man die Volksabstimmungen anschaut, dann fällt die Bilanz der 12 Jahre Sommarugas in der Landesregierung durchzogen aus. Die letzten drei Referendums-Abstimmungen hat sie alle verloren: Das Jagdgesetz, das Massnahmenpaket für die Medien, und vor allem, die schmerzlichste Niederlage, das CO2-Gesetz.
Schon als Justizministerin musste sie zwei Niederlagen einstecken, die weh taten: Das Volk nahm sowohl die Ausschaffungs-Initiative wie die Masseneinwanderungs-Initiative der SVP an – beides Geschäfte, für die Sommaruga zuständig war und gegen die sie gekämpft hatte. Natürlich kann man die Niederlagen nicht Sommaruga alleine anlasten (das CO2-Gesetz wurde zum Beispiel vom Parlament massiv ausgebaut), aber klar ist: Sommaruga ist keine, die die Leute begeistern und mitreissen kann, sie ist im Auftritt eher spröde und beherrscht. Und die Vereinfachung auf wenige, schlagkräftige Argumente liegt ihr nicht.
Die Lehren gezogen
Dafür ist sie äusserst hartnäckig und kann aus Niederlagen lernen. Das führte zum Beispiel zu ihrem grössten politischen Erfolg, der Asylgesetzrevision 2016 mit der massiven Beschleunigung der Asylverfahren. Und auch aus der Niederlage beim CO2-Gesetz zog sie ihre Lehren; sie brachte letztes Jahr eine neue Auflage ohne die umstrittensten Punkte ins Parlament und trieb gleichzeitig mit verschiedensten Massnahmen den Ausbau der erneuerbaren Energien voran.
Dabei kam ihr eine weitere Eigenschaft zugute: Sie kann zuhören und die Leute an einen Tisch bringen. Der Runde Tisch zur Wasserkraft war so erfolgreich, dass der Ständerat die Resultate daraus gleich in den sogenannten Mantelerlass für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien integrierte.
Engagierte Verfechterin des Kollegialprinzips
Den Höhepunkt ihrer Bundesrats-Laufbahn fand sie ausgerechnet in einer Rolle, die ihr eigentlich nicht liegt: die der Landesmutter. Am 16. März 2020 musste sie als Bundespräsidentin dem Volk den Pandemie-Lockdown verkünden und tat dies mit dem denkwürdigen Zitat: «Jetzt muss ein Ruck durchs Land gehen!» Sommaruga, die sonst von vielen als berechnend und taktierend wahrgenommen wird, fand in jenem Jahr den Zugang zu den Menschen und zu jedem Zeitpunkt und jedem Anlass den richtigen Ton und die richtigen Worte.
An der heutigen Medienkonferenz zu ihrem Rücktritt brauchte sie ein Wort auffallend häufig: Kollegialprinzip. Simonetta Sommaruga ist eine engagierte Verfechterin davon: Im Bundesrat soll man streiten, aber wenn ein Entscheid gefallen ist, dann soll er gegen aussen mit einer Stimme vertreten werden.
Daran hielt sie sich während ihrer ganzen Amtszeit, in wohltuendem Unterschied zu ihrem Vorgänger Moritz Leuenberger. Sommaruga war, bei aller persönlichen Zurückhaltung, immer eine politische Teamplayerin. Jetzt hat sie die Verantwortung gegenüber ihrem Ehemann dem Bundesratsteam vorgezogen.