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Rücktritt des Mitte-Chefs Gerhard Pfister: Kluger Stratege mit Hang zur Polemik

Mit seiner Rücktrittsankündigung auf den Sommer 2025 hat Mitte-Präsident Gerhard Pfister wieder einmal sein Gespür für Strategie und Timing bewiesen. In der Mitte der Legislatur gibt er seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin damit genug Zeit, die Wahlen 2027 vorzubereiten.

Zudem läuft die aktuelle Parteistrategie aus, die neue für die Zeit bis 2033 wird zurzeit erarbeitet und könnte vom neuen Präsidium umgesetzt werden. Und: Sollte Bundesrätin Viola Amherd in nächster Zeit, wie vielfach kolportiert, zurücktreten, bringt er sich damit in eine perfekte Ausgangslage.

Politische Kurskorrektur mit Erfolg

Als Pfister 2016 das damalige CVP-Präsidium übernahm, galt er als hartgesottener Rechtskonservativer, von dem man annahm, dass er die traditionelle Wählerschaft, die in Scharen zur SVP übergelaufen war, zurückgewinnen wollte. Das Gegenteil ist eingetroffen: Pfister führte die CVP in die Fusion mit der schwächelnden BDP, verpasste ihr mit der «Mitte» einen neuen Namen und ein neues Image, das sich an eine modernere, städtischere Wählerschaft ausrichtete. Passend dazu auch die politische Kurskorrektur, hin zu sozialen, «linkeren» Themen wie den Krankenkassenprämien und der Altersvorsorge.

Bei den letzten Wahlen hat sich das ausbezahlt; die Mitte holte leicht mehr Wählerprozente als die alte CVP und die BDP zusammen bei den Wahlen 2019. Und sie überholte bei den Nationalratssitzen erstmals die FDP.

Auch wenn Gerhard Pfister sich und seine Partei gerne als wertebasiert sieht: für den Strategiewechsel musste er von den eigenen Werten als überzeugter Katholik Abstand nehmen und sich mehr an Wählerumfragen und politischen Analysen orientieren. Damit erwies er sich als kluger Stratege, was ihm in Bundesbern auch reihum attestiert wird.

Aber auch einige Niederlagen

Doch auch einem Gerhard Pfister gelingt nicht alles. In den Abstimmungen war seine Partei wenig erfolgreich, sowohl bei den eigenen Abstimmungsvorlagen (klare Niederlage bei der Kostenbremse-Initiative) wie auch beim allgemeinen Abstimmungserfolg, wo sich die ehemalige CVP lange als Stimme der Mehrheit profilieren konnte. Diese Rolle haben in jüngster Zeit die GLP und in dieser Legislatur die SP und die Grünen übernommen. In der Fraktion tanzten ihm die machtbewussten Mitte-Ständeräte etliche Male auf der Nase herum.

Und mit der Fokussierung auf die Gesundheitspolitik war die Mitte bisher nicht sehr erfolgreich. Zwar zeigen alle Umfragen, dass die hohen Gesundheits- und Prämienkosten zu den grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer gehören. Ummünzen auf einen grösseren Wahl- oder Abstimmungserfolg konnten es Pfister und die Mitte bisher aber nicht.

Hohe Latte für die Nachfolge

Irritierend bei Gerhard Pfister sind und waren immer wieder seine scharfen Positionsbezüge auf X und früher auf Twitter. Da sparte er nicht mit beissender Kritik bis hin zu verbaler Polemik. Ganz im Widerspruch zum Anspruch seiner Partei, für die die «Polemisierung der linken und rechten Parteien schon zu lange wichtige Weichenstellungen für die Zukunft unseres Landes blockiert».

Klar ist: Pfister hinterlässt grosse, sehr grosse Fussstapfen für seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin. Bleibt zu hoffen, dass der Charakterkopf der Schweizer Politik erhalten bleibt. 

Urs Leuthard

Leiter Bundeshausredaktion

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Seit Sommer 2020 ist Urs Leuthard Leiter der Bundeshausredaktion von Fernsehen SRF. Bereits seit 2002 moderiert er das «Abstimmungsstudio» und analysiert Wahlen und Abstimmungen. Bis 2008 war er Moderator und Redaktionsleiter der «Arena», danach wechselte er zur «Rundschau», bevor er 2012 die Redaktionsleitung der «Tagesschau» übernahm.

Hier finden Sie weitere Artikel von Urs Leuthard und Informationen zu seiner Person.

Tagesschau, 06.01.2025, 18:00 Uhr

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