Der Chef des Bundesamts für Sozialversicherungen BSV, Stéphane Rossini, muss seinen Posten räumen. Dies wurde kürzlich bekannt. Der Grund dafür sind die fehlerhaften Berechnungen bei den AHV-Kostenprognosen, die von seinem Amt erstellt worden sind. Offiziell heisst es, der Rücktritt erfolge freiwillig. Reto Steiner ist Professor für Public Managemnt an der ZHAW. Er erklärt den Rücktritt Rossinis.
SRF News: Wann muss ein Amtschef, eine Amtschefin für einen Fehler geradestehen und zurücktreten?
Reto Steiner: In der Schweiz haben wir keine Rücktrittskultur, ganz anders beispielsweise in den USA oder in Deutschland. Insbesondere dort, wo es ein Regierungs-/Oppositionssystem gibt, gibt es oft Rücktritte, die nach Fehlern im Sinne einer Läuterung eingefordert werden. In diesen Fällen geht es selten darum, dass eine so starke Verfehlung passiert ist, dass man ohne Rücktritt nicht mehr fortfahren kann, aber man will diese Läuterung. Der Fall von Stéphane Rossini ist sicher ein solcher Fall. Der Fehler war zwar gravierend, aber das bedeutet noch lange nicht, dass man deswegen zurücktreten müsste.
Wann ist aus Ihrer Sicht ein Fehler gravierend genug, um einen Rücktritt zu erzwingen?
Es ist wie in Beziehungen. Einen Fehler verzeiht man, aber bei mehreren wird das Vertrauensverhältnis zerrüttet. Ich denke aber, es ist gut, dass es in der Schweiz keine prominente Rücktrittskultur gibt. Denn das ist – das mag überraschen – die Stärke der Schweiz. So zeigt man: Fehler sind erlaubt und die Verwaltung spürt, dass Vertrauen da ist. Das bedeutet aber nicht, dass man Fehler nicht schonungslos aufdecken soll. Im Fall Rossini haben wir eher eine Ausnahme.
Aussitzen ist in der Regel eine schlechte Strategie.
Es kommt immer wieder zu Fällen, in denen Fehler vertuscht oder ausgesessen werden. Ist das eine Strategie, um einen Rücktritt zu vermeiden?
Ich denke, die Bevölkerung hat ein Anrecht auf eine gesunde Fehlerkultur. Es muss aufgezeigt werden, wie diese Fehler sich nicht wiederholen. Aussitzen ist in der Regel eine schlechte Strategie. Bei kleineren Fehlern kann es durchaus sein, dass man den Fehler intern angeht und nicht an die Öffentlichkeit tritt. Im Fall des Bundesamtes für Sozialversicherungen sprechen wir von einem sehr gravierenden Fehler.
Lesen Sie selbst:
Sie haben zuvor schon von der Rücktrittskultur gesprochen. In anderen Ländern wie den USA zum Beispiel gibt es eine solche, in der Schweiz nicht. Warum nicht?
In anderen Ländern werden die Chefbeamtinnen und -beamten, die oberste Führungsspitze, sehr stark mit der Politik, die in der Regierung vorherrschend ist, assoziiert. Und gerade Präsidentinnen und Präsidenten von Ländern wollen aufzeigen, dass sie mit der Einforderung von Rücktritten aufräumen und wieder von vorne beginnen. Die Schweiz hat ein konsensuales System. Parteien werden eingebunden, und wir haben eine sehr starke Vertrauenskultur gegenüber der Verwaltung. Interessant ist eine Untersuchung von Kollegen in Italien, die untersucht haben, ob Trainerwechsel einer Fussballmannschaft helfen oder nicht. Das Ergebnis ist nicht überraschend: Ganz kurzfristig gibt es einen positiven Effekt. Langfristig überwiegen aber signifikant die negativen Effekte. Es geht dadurch viel Know-how verloren. Und oft werden die Fehler dann nicht konsequent angegangen, sondern mit Symbolpolitik wird gegen aussen zu zeigen versucht, dass aufgeräumt wird.
Das Gespräch führte Nina Gygax.