In der Politik werden die Zahlen des Bundes von links bis rechts zur Hand genommen, interpretiert, und dem politischen Gegner unter die Nase gerieben. So lassen sich etwa mit Finanzperspektiven für die AHV Abstimmungskämpfe gewinnen. Oder verlieren.
«Wenn die Zahlen nicht stimmen, sind die Grundlagen falsch», sagt Jürg Grossen, Parteipräsident der Grünliberalen. «Das ärgert einen sehr.» Wenn Zahlen nicht stimmten, werde alles angezweifelt, so Grossen weiter.
Bereits gibt es Forderungen, die Abstimmungen über das höhere Frauenrentenalter zu wiederholen. Diese Vorlage hatte auch Grossens GLP unterstützt. Er habe als mathematisch versierter Miliz-Parlamentarier zwar eine gesunde Skepsis, sagt Grossen. Aber er habe nicht die Möglichkeit, alle Bundesstatistiken zu überprüfen.
Wichtig für die politische Auseinandersetzung
Ähnlich tönt es bei Verbänden, etwa dem Arbeitgeberverband. Direktor Roland Müller sagt: Wenn man sich politisch streite, müsse man sich wenigstens auf die Zahlen verlassen können, über die man streite. «Sonst gerät die ganze politische Diskussion in Schieflage.»
Die Folgen fehlerhafter AHV-Perspektiven gehen aber weiter. So teilt die Eidgenössische Finanzverwaltung mit, sie habe keine eigenen Berechnungen und stütze sich auf die Angaben der Kollegen. Die AHV aber ist der grösste Ausgabenposten des Bundes.
Vier Milliarden Franken haben oder nicht haben: Das hat Folgen, wenn etwa über Budgetentwürfe und Sparmassnahmen diskutiert wird.
Dabei beeilt sich die Finanzverwaltung allerdings zu betonen, dass sich mit dem Rechnungsfehler bei der AHV grundsätzlich nicht viel ändere. Gespart werden müssen immer noch.
Wichtig auch für Konjunkturprognosen
Und auch ausserhalb von Politik und Verwaltung hat der AHV-Berechnungsfehler Folgen. Zum Beispiel wenn die Konjunkturforschungsstelle des Bundes die wirtschaftliche Entwicklung abschätzen will.
Auch sie übernehme dann Angaben des Bundes, sagt KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm. «Wir haben keine Ressourcen, diese Berechnungen selber zu machen». Deshalb vertraue man den Angaben des Bundes.
Uns fehlen die Ressourcen, die Berechnungen selber zu machen.
Ähnlich tönt es bei Privaten, wie dem Büro C-alm, das etwa Pensionskassen mit Berechnungen versorgt. Wenn Daten nicht den Kern eines Auftrags beträfen, übernehme man die Angaben des Bundes – weil diese in der Regel zuverlässig seien, sagt Roger Baumann, Partner bei C-alm.
Bei AHV-Rechnungsfehlern komme hinzu, dass die AHV alleinige Bundesaufgabe sei. Es gibt sie nur einmal. Das sei etwa bei der beruflichen Vorsorge, der zweiten Säule der Altersvorsorge, anders. Bei der AHV rechne kaum jemand nach, so Baumann.
Künftig externe Überprüfung nötig?
Alle angefragten Involvierten und Experten sagen: Der Milliarden-Fehler bei der AHV sei unschön. Und es brauche nun Verbesserungen. Sinnvoll sei etwa, dass die AHV-Berechnungen nun extern überprüft würden.
Letztlich müsse man sich aber auch künftig auf die Zahlen des Bundes verlassen, denn es bleibe gar nichts anderes übrig.
Klar ist aber auch: Der Fehler bei der AHV zeigt, dass man finanzielle Prognosen, vor allem langfristige, immer mit Vorsicht geniessen muss. Es ist ähnlich wie beim Wetter: Die Langfristprognosen zeigen die Tendenz an – aber nicht ein künftiges Ergebnis.