Als Fort Knox, als Schatzkammer aus dem Märchen Ali Baba und die 40 Räuber sind die Genfer Zollfreilager schon bezeichnet worden. Kunst und Luxusgüter im Wert von über 100 Milliarden Franken sollen sich auf den 110'000 Quadratmetern der Genfer Zollfreilager befinden – bestätigt wurde diese Zahl jedoch nie. Diskretion ist das oberste Gebot.
Diese Diskretion könnten sich nun sanktionierte Oligarchen zunutze machen, die Kunst verstecken wollen – so zu lesen in der internationalen Presse. Das wird auch vom Bund abgeklärt: Die Zollverwaltung schreibt auf Anfrage von Radio SRF, dass in den letzten Wochen in der Schweiz in 52 Fällen Güter sichergestellt und einer Expertise unterzogen wurden. In vier Fällen gab es eine Anzeige an das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, das für die Umsetzung der Sanktionen zuständig ist. Von diesen Anzeigen betreffe eine ein Zolllager.
Was das für Güter sind und wie viel sie wert sind, darüber machen weder Behörden noch die Betreiber Angaben. In der Schweiz gibt es sieben Zollfreilager – das grösste davon in Genf, wegen der Nähe zu den grossen Auktionshäusern und des Kunsthandels in der Calvin-Stadt.
Marc-André Renold, Professor für Kunst- und Kulturgüterrecht an der Universität Genf, erklärt: «Weil der Kunsthandel gut lief, spannte sich ein Netz von Firmen rund um die Zollfreilager: auf Kunsthandel spezialisierte Transporteure, Händler, ein regelrechter Mikrokosmos. In den Zollfreilagern werden sogar Werke restauriert.»
Dass die Zollfreilager jetzt erneut im Verdacht stehen, liegt auch an Fehlern in der Vergangenheit: 2014 stellte ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle fest, dass die Zollverwaltung trotz ihrer Präsenz in den Zollfreilagern gar nicht genau wisse, was sich darin befinde. Und dass oft Firmenkonstrukte wie Trusts als Besitzer eingetragen sind. Wer ein Kunstwerk wirklich besitzt, blieb so unbekannt.
Informationslücken bleiben
Diese Anforderungen haben inzwischen geändert: Heute muss der Besitzer – also eine echte Person – im Inventar eingetragen sein. Wie diese Namen lauten, konnte aber in drei Lagerflächen in der Schweiz nicht sofort überprüft werden – die eingelagerten Güter wurden deshalb blockiert. Ansonsten seien die Inventare inzwischen vollständig, heisst es bei der Zollverwaltung.
Für neu eingelagerte Objekte stimme das – aber nicht für Güter, die schon lange in den Zollfreilagern seien, sagt Kulturgüter-Experte Renold: «Weniger streng erfasst sind Werke, die schon sehr lange in den Zollfreilagern sind – und inzwischen sogar mehrfach verkauft wurden, ohne dass sie jemals die Lager verlassen hätten . Da gibt es noch Informationslücken.»
Renold spricht aus Erfahrung: Er arbeitete bei mehreren Herkunftsabklärungen von Antiquitäten mit, die unrechtmässig erworben und in den Genfer Zollfreilagern eingelagert worden waren. Etwa im Fall eines römischen Sarkophags, der an die Türkei zurückgegeben wurde.
Bei den Zollfreilagern wird heute also genauer hingeschaut – das reicht aber nicht allen. Der Genfer SP-Nationalrat Christian Dandrès will ganz aufräumen mit der jahrzehntelangen Einlagerung von Kunst.
Mit einer parlamentarischen Initiative will er die Zollfreilager wieder zu ihrer ursprünglichen Funktion als Transitlager zwingen: «Das würde bedeuten, dass Objekte nur noch ein Jahr gelagert werden können, mit maximal einem Jahr Verlängerung. Ausnahmen würden einzig in komplizierten Erbfällen gemacht – das ist das einfachste Mittel.» Diesen Plan befürwortet auch Kunsthandelsexperte Renold.