«Wir nehmen heute an einem Tag mehr Informationen auf als ein Bauer im Mittelalter in seinem ganzen Leben», hat die Zukunftsforscherin Florence Gaub in einem Interview gesagt. Da muss man ja kirre werden. Und vielleicht bewirkt das ja, dass unterdessen nicht nur Leute mit ADHS Ritalin schlucken, sondern es fleissig auch schwarz gehandelt wird. Abwässer lügen nicht.
70 Nachrichten auf 7 Kanälen, Podcast hören beim Zähneputzen, Online-Yoga beim Schuhebinden … logisch kann sich da niemand mehr konzentrieren.
Als moderner, reizüberfluteter Mensch sitzen wir alle quasi im Kopf, sprich der Schaltzentrale eines überdimensionierten ADHS-Hirns. Das fängt schon morgens auf der Bettkante an: Newsfeed, 70 Nachrichten auf sieben Kanälen, Podcast hören beim Zähneputzen, Online-Yoga beim Schuhebinden, Insta, Pushnews, ohne Lifehack keine Banane mehr schälen … logisch kann sich da niemand mehr konzentrieren. Und da reicht dann eben die gewöhnliche Kaffeepause nicht mehr. Da muss es schon ein Ritalin-Break sein.
Ritalin als Partydroge. Aber weshalb?
Und später zum Lernen auf die grosse Prüfung und neuerdings bei jungen Menschen auch für den Ausgang. Ritalin als Partydroge. Aber weshalb? Damit man auf der Party fokussiert ist? Damit man da networken kann?
In meiner Jugend gings an Partys noch ums Gegenteil. Ums Wegballern störender Hirnzellen und Vernunftbarrieren und so zügelloses Durchfeiern der Nächte, dass wir uns noch heute schämen würden – wenn wir uns erinnern könnten. Aber jetzt sieht es aus, als habe die hyperperformende Hochleistungsgesellschaft vollends auch die Freizeit erfasst.
Die einzigen, die noch chillen dürfen, sind unsere Haustiere.
Wo gibt es denn noch leistungsfreie Zonen?
- Die Kindheit? – Nein, Vollstress! Kennen wir ja: Frührobotik, Mathi-Olympiade und zwei Instrumente.
- Rentenalter? – Fehlalarm! Da heisst’s ja schon lange: hyperaktiv bis ins Grab.
- Sogar Obdachlose können heute nicht mehr nur einfach mit ihrem Kartonschild am Strassenrand liegen. Nein, der Obdachlose 2.24 ist fokussiert-eloquenter Strassenmagazin-Verticker mit top Sales-Marketing-Skills.
Die einzigen, die momentan noch chillen dürfen, sind unsere Haustiere. Aber auch da ist es eine Frage der Zeit, bis jemand entdeckt, dass auch Bello auf Ritalin besser lernt. Warum soll es dem Hund heute besser gehen als einem Bauern im Mittelalter? Ich sehe schon den Werbespot vor mir: «Frolic mit Ritalin ergänzen – schon kannst du die Hundeschule schwänzen.» Er wird sie cum laude abschliessen, der neue Hochleistungshund. Und vielleicht liegt ja noch mehr drin: «Gib Fido Ritalin ins Chappi – und er performt im Haushalt wie der Papi.»