Ein letztes Mal richtet Bitten Stetter ihr rosa Design-Hemd über den weissen Cowboystiefeln, bevor es losgeht. Am Tag der Eröffnung des neuen Ladens tragen die Designerin und ihr Team einen Umhang, den es hier auch zu kaufen gibt. Anders als übliche Spitalhemden lässt sich der «Turnarounder» so zubinden, dass hinten nichts herausschaut.
Im Zürcher Kreis 4 verkauft Bitten Stetter Produkte für das Lebensende. Einen Handyhalter für über das Spitalbett, edle Schnabeltassen, Würfelsets gegen die Sprachlosigkeit. Ihr Ziel: Menschen für das Sterben sensibilisieren. «Fragilität gehört zum Leben dazu», sagt Stetter, «und die fragilen Phasen kann man miteinander gestalten.»
Die letzte Lebensphase gestalten, damit rüttelt die Designerin an einem Tabu. Und lockt viele Fachleute sowie Neugierige an. Zur Ladeneröffnung Ende April kommen Palliativpflegefachleute, Hebammen, Leiterinnen von Alterszentren, aber auch Menschen aus dem Quartier, die sich für einen Pulli mit der Aufschrift «bin fragil» interessieren.
Wenn sich das Leben im Bett abspielt
Shopping fürs Sterbebett? Das ist neu. Im Gegensatz zur Geburt: Das Angebot an Produkten für diesen Lebensabschnitt ist riesig. Es gibt Boutiquen und Onlineshops für werdende Eltern und eine reiche Geschenktradition. Von der Nuggikette bis zur Windeltorte gibt es die Qual der Wahl, um den Lebensanfang zu feiern. Jetzt soll auch das Einkaufen für das Lebensende selbstverständlich werden, findet Bitten Stetter. In ihrem Laden gibt es Grusskarten zum Verschenken, aber auch vieles für den eigenen Gebrauch. «So wie wir uns etwa auf eine Geburt vorbereiten, sollten wir das auch für den letzten Lebensabschnitt machen», sagt sie. Viele Menschen wüssten sehr wenig über das Sterben. Hier will die Designerin Aufklärungsarbeit leisten – und zwar über Dinge statt über Broschüren.
Sterben ist nicht nur etwas Schreckliches, vor dem man Angst haben muss, man kann sich auch darauf freuen.
Heute ist Sterben häufig ein langer Prozess, auch dank der Medizin. Der Radius der Welt verkleinert sich, auf ein Zimmer, auf das Bett. Darin spiele sich dann das Leben ab und dabei fehle es an vielem, sagt Bitten Stetter, etwa an einem gut erreichbaren Halter für das Handy oder einer Betttasche für persönliche Gegenstände wie die Brille.
Ihre Produkte entwickelte die Designerin, nachdem sie ihre Mutter im Spital begleitet hatte. «Ich bin dort in die Situation gekommen, dass mir viele Sachen gefehlt haben, dass ich einiges überhaupt nicht wusste und dass ich auch Krisen miterlebt habe, wo ich als Designerin gedacht habe: Warum hat da noch keiner hingeguckt?»
Eisbonbons aus Champagner
Die Palliativstation des Spitals Uster hat einige der Design-Produkte angeschafft. Hier verbringen schwerkranke Menschen im Schnitt zwei bis drei Wochen, bevor sie sterben oder nach Hause gehen zum Sterben.
Pflegefachfrau Helen Stolz bietet ihnen Getränke statt in Schnabeltassen aus Plastik auch in den weissen Tontassen von Bitten Stetter an. «Im ersten Moment fragen die Leute, was das sei, denn es sieht nicht aus wie ein herkömmlicher Trinkbecher», sagt Helen Stolz. Wenn sie es ihnen erkläre, freuten sie sich, dass sie so ein Unikat brauchen dürften. Dann zeigt sie auf einen speziellen Eiswürfelbehälter. Damit lassen sich Eisbonbons herstellen, aus Wasser, Limonade oder auch mal aus Champagner.
Für die Sterbenden könne es angenehm sein, wenn sie mit einem Geschmack an etwas erinnert würden, erklärt die Pflegefachfrau. «Gerade in der Phase, in der es einem vielleicht nicht mehr so gut geht, wo man vielleicht nicht mehr gut schlucken kann.» Für die Angehörigen seien diese Eisbonbons oft eine willkommene Möglichkeit, etwas Gutes zu tun.
Persönliche Gegenstände geben Halt
Sich vorbereiten aufs Sterben, den Prozess bewusst angehen. Das könne helfen, sagt der Leiter der Palliativstation in Uster, Sivan Schipper. «Ich beobachte, dass viele Menschen gut sterben, die loslassen», sagt der Arzt, «Sterben ist nicht nur etwas Schreckliches, vor dem man Angst haben muss, man kann sich auch darauf freuen.»
So wie wir uns etwa auf eine Geburt vorbereiten, sollten wir das auch für den letzten Lebensabschnitt machen.
Die Design-Produkte für Sterbende findet der Palliativmediziner eine gute Sache. Dazu wichtig seien im Spital persönliche Gegenstände, erklärt Sivan Schipper. «Manchmal entwickeln die Menschen ein Delirium und verlieren die Orientierung», sagt er. Dinge von Zuhause, etwa das Bild eines Haustiers oder Fotos von der Familie, gäben dann Sicherheit und Halt.
Lifestyleprodukte für die Lebensreise
Bitten Stetter arbeitet als Design-Professorin an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Zum Thema Design und Lebensende forscht sie schon seit mehreren Jahren. So war sie Teil des Forschungsprojekts «Sterbesettings». Von 2020 bis 2023 untersuchte dafür ein interdisziplinäres Team unsere Perspektive auf die letzte Lebensphase, finanziert wurde das Projekt vom Schweizerischen Nationalfonds.
In diesem Rahmen hat Bitten Stetter ihre Produkte entwickelt. In einem Spital in Zürich testete sie eine Bettbox für persönliche Gegenstände, probierte einen Baldachin fürs Spitalbett aus und kreierte eine kleine Laterne für Licht und Duft – Vorläufer der Produkte, die sie jetzt in ihrem Laden verkauft.
Einkaufen für die letzten Tage – geht Konsum fürs Lebensende nicht zu weit? Auf die Frage, ob sie das Sterben kommerzialisiere, sagt Bitten Stetter, sie mache Lifestyleprodukte für die fragilen Phasen der Lebensreise bis hin zum Lebensende. «Man soll sich die Produkte nicht erst am Ende anschaffen, sondern sich vorbereiten darauf, dass man krank werden kann. Und dann hat man die Dinge, die einem auf dieser Reise begleiten», sagt sie. So könne etwa der Umhang auch als Sommerkleid oder Bademantel genutzt werden.
Sich vorbereiten auf das Ende, auch wenn man noch mitten im Leben steht. So sollen Berührungsängste mit dem Sterben verschwinden.