Auf den Tag genau vor einem Jahr starb offiziell der erste Mensch in der Schweiz nach einer Infektion mit dem Coronavirus. Laut Statistik sind bis heute mehr als 9300 Menschen im Land damit oder daran gestorben. Ihrer gedachten die Landeskirchen um 12 Uhr mit Glockengeläut und einer Schweigeminute, so, wie es Bundespräsident Guy Parmelin vorgeschlagen hatte. Für Jesuitenpater Niklaus Brantschen ein Moment, um in sich zu gehen.
SRF News: In welchem Licht sehen Sie den heutigen Gedenkmoment?
Niklaus Brantschen: Es ist ein Moment, um innezuhalten, nachzudenken und der vielen Toten zu gedenken. Ich denke – nein, ich bin überzeugt, dass es eine sehr schöne Geste ist, eine im guten Sinne symbolische Geste. Die Glocken stehen auch für etwas. Ich denke da an Totenglocken. Bei uns im Wallis hat man bei einem Toten, einer Toten eine Stunde lang geläutet. Nicht nur eine Minute, sondern eine Stunde lang. Ich finde das ein sehr wichtiges Zeichen.
Zusammen zu trauern ist wichtig, auch für eine Gesellschaft. Wie erklären Sie sich aber diese besondere Behandlung der Coronatoten?
Das ist ein scharfer Ausdruck. Sie werden nicht besonders behandelt, sondern es liegt ja etwas in der Luft. Alle reden von diesem Phänomen und alle werden doch mehr oder weniger nachdenklich, wenn es um unerwartete oder mehr oder weniger erwartete Todesfälle geht.
Lehre uns, die Tage zu zählen, damit wir weiser werden.
Und dann besinnen wir uns auch immer auf uns zurück. Wie lebe ich? Gedenke ich des Todes, der todsicher kommen wird? Es gibt ein schönes Wort im Psalm 90: Lehre uns, die Tage zu zählen, damit wir weiser werden. Auch wir werden nicht ewig leben, sondern unser Leben wird zu Ende gehen. Und darum auch die Frage: Was mache ich mit meinem Leben? Wie gestalte ich es? Vertrödle ich es oder lebe ich es achtsam? Auch in Verbundenheit mit den Verstorbenen – seien sie jetzt coronabedingt oder wie auch immer von uns gegangen.
Wir nehmen dieses Gespräch vor 12 Uhr auf. Was tun Sie um 11.59 Uhr?
Ich werde in der Kapelle sein, im Bildungshaus Bad Schönbrunn, und wir werden unsere beiden Glocken nicht nur eine Minute läuten lassen, sondern fünf. Und dann werden wir, ein paar andere und ich, einfach dasitzen, uns mit den Glocken verbinden und schauen, was so ein Geläut – ein altes Symbol – mit uns macht in dieser Situation, die für viele sehr schwierig ist. Was machen diese Zeiten mit uns, und was machen wir mit dieser sogenannten Coronazeit? Es ist eine Zeit der Besinnung für die Lebenden und die Toten.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.