Bei heiklen Themen empfiehlt sich stets ein Blick über die Landesgrenze. Solch ein Thema ist die Endlagerung von radioaktiven Abfällen. Im Vergleich ist die Schweiz gegenüber vielen anderen Ländern in Europa im Hintertreffen. Als Paradebeispiele für eine vorausschauende Planung gelten Schweden und Finnland. Was sind die Gründe für die Unterschiede zur Schweiz?
Schlusslicht Schweiz
Von jenen Ländern, die schon seit längerem Kernkraftwerke betreiben, liegt die Schweiz bei der Endlagerung von leicht- und mittelradioaktiven Abfällen im hinteren Drittel. Bei der Endlagerung von hochradioaktiven Abfällen sei die Schweiz gar das Schlusslicht, so Markus Fritschi von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra).
Ein Vorteil für die skandinavischen Spitzenreiter in Sachen Atommüll-Lagerung liege in der Geologie von Finnland und Schweden. Diese sei im ganzen Land überall sehr ähnlich, erklärt Fritschi. Das macht es einfacher, einen geeigneten Standort zu finden.
In der Schweiz ist die Geologie, das heisst die Bodenstruktur, sehr unterschiedlich – und damit sind die Sicherheitsunterschiede gross. Die Lager müssten dort gebaut werden, wo die Bodenbedingungen am besten seien, so der Nagra-Experte. Das mache den politischen Prozess anspruchsvoller.
Schweden: Starker Einbezug der Bevölkerung
Doch nur weil es in Schweden und Finnland leichter ist, ein Endlager fern von Siedlungen zu errichten, heisst das nicht, dass die Bevölkerung weniger in die Entscheide einbezogen wird. Im Gegenteil: Wenn eine Gemeinde zum Endlager «Nein» sagt, kann ein Projekt gleich begraben werden.
Wenn die Bevölkerung jedoch einem Endlager zusagt, so hat ihre Meinung auch in Detailfragen grosses Gewicht – bei der Landesregierung und beim nationalen Parlament. Das schwedische Pendant zur Nagra, die Svensk Kärnbränslehantering (SKB), legt deshalb grossen Wert auf Information der Bevölkerung.
Offene Informationspolitik: «Immer wieder reden»
«Wir reden mit den Leuten, immer wieder und wieder», bestätigt Eva Häll von der SKB. Der Dialog werde selbst «am Küchentisch» geführt – und selbst auf den untersten Stufen wie an lokalen Gewerbeausstellungen.
Diese offene Informationspolitik zahlt sich aus. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Gemeinden Oskarskamm und Östhammar, wo ein AKW beziehungsweise ein Endlager für hochradioaktive Abfälle stehen, beträgt laut Umfragen zwischen 75 und 85 Prozent.
Von der schwedischen Informationspolitik zeigt sich auch Nagra-Geschäftsleitungsmitglied Fritschi begeistert. Von Schweden könne die Schweiz lernen, dass es persönliche Kontakte und Gespräche in den Regionen brauche.
Frühere Beschäftigung mit heiklen Fragen
Doch Schweden und Finnland betreiben diesbezüglich nicht nur eine sehr offene Informationspolitik. Die Betreiber von AKWs beschäftigen sich viel früher mit den Fragen der Endlagerung als man das in der Schweiz tut. So geht man das Thema Endlagerung bereits jetzt schon resolut an: Und dies, obschon die Brennelemente zur Reduzierung der Wärme und der Radioaktivität noch jahrelang in Abklingbecken zwischengelagert werden und die hochmodernen AKW noch lange nicht abgestellt werden.
Womöglich ist also auch die sichtbare Ernsthaftigkeit der Akteure im Bezug auf ein heikles Thema wie die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle mit ein Hauptgrund für das Vertrauen in der Bevölkerung.