Die Nachricht hat für Unbehagen gesorgt: Bund und Kantone haben am vergangenen Freitag Notmassnahmen diskutiert, um mit der drastisch steigenden Zahl von Flüchtlingen und, damit verbunden, mit mehr Asylgesuchstellenden zu Rande zu kommen.
Grundlage der Diskussion war das «Notfallkonzept Asyl», das der Bundesrat 2012 verabschiedet hat. Es ist «für angespannte Situationen» gedacht und ermächtigt den Bundesrat, auch abweichend vom geltenden Gesetz das Asyl zu regeln.
Ist die Lage, so kann man sich angesichts der Diskussionen über Notfallmassnahmen fragen, ausser Kontrolle geraten?
Der aktuelle Stand
Ein solcher Schluss wäre verkürzt. Denn zum einen ist das bemühte Notfallkonzept Asyl seinem Wortlaut entsprechend «vorsorgliches und vorbereitendes Planungsinstrument» und muss also noch nicht den Krisenfall implizieren. Zum anderen ist die «steigende Anzahl Asylgesuche», laut Léa Wertheimer, Mediensprecherin vom Staatssekretariat für Migration (SEM), «bislang gut bewältigt worden.»
Doch wie ist das gelungen? Wie sieht der «Courant normale» in der Bewältigung des Andranges von Flüchtlingen und möglichen Asylgesuchstellenden aus? Die wichtigsten Fakten anhand wesentlicher Fragen.
- Mit wie vielen Asylgesuchstellenden ist zu rechnen?
2015 ist mit bis zu 34‘000 Gesuchen zu rechnen. Aufgrund der Entwicklung auf der Balkanroute hat das Staatssekretariat für Migration diese Prognose leicht nach oben korrigiert: Von 31‘5000 auf 32‘000 bis 34‘000. Im Jahresvergleich ist der Anstieg allerdings deutlich in die Höhe geschnellt. Noch im vergangenen Jahr wurden nur 23‘765 Gesuche eingereicht.
- Wo gelangen die Menschen zunächst hin?
Die Empfangs- und Verfahrenszentren befinden sich in Altstätten (SG), Kreuzlingen (TG), Basel, Chiasso (TI) und Vallorbe (VD). Dazu kommen die sogenannten Flughafenverfahren in Zürich und Genf. Weil die Zahl der Gesuchsteller gestiegen ist und die Empfangs- und Verfahrenszentren gefüllt sind, hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) etwa in Schaffhausen oder Basel Voraufnahme-Strukturen eingerichtet. Hier werden die Menschen zwar erfasst und mit dem Nötigsten versorgt, aber noch nicht offiziell registriert. Erst in einem zweiten Schritt gelangen sie dann in ein Empfangszentrum.
- Wie stellen die Menschen ein Asylgesuch?
Ein Asylgesuch kann an einem Grenzposten oder bei der Grenzkontrolle eines Schweizer Flughafens vorgebracht werden. Es unterliegt keinen Formvorschriften. Das heisst, es kann mündlich oder schriftlich vorgebracht werden. Vorausgesetzt wird, dass der Gesuchsteller die Schweizer Behörden über seine Identität informiert und diese womöglich mit offiziellen Dokumenten belegt. Ferner muss er einen Grund angeben, warum er seinen Heimatstaat verlassen hat.
- Was geschieht im Empfangszentrum?
Die Behörden nehmen die Personalien auf, registrieren Fingerabrücke und machen ein Passfoto. Rund 75 Prozent der Asylsuchenden geben bei der Einreichung ihres Asylgesuchs keine amtlichen Identitätspapiere ab. Dies erschwert oder verunmöglicht eine Identifizierung. Sind die Asylgesuche unbegründet oder missbräuchlich, wird ein beschleunigtes Verfahren angewendet. Dasselbe gilt bei klaren positiven Fällen. Die Aufenthaltsdauer in einem Empfangszentrum beschränkt sich in jedem Fall auf 90 Tage.
- Was ist die Aufgabe der Kantone?
Asylsuchende, deren Gesuch nicht im Empfangszentrum entschieden werden kann, werden bis zum Abschluss des Asylverfahrens auf die Kantone verteilt. Dies nach einem Verteilschlüssel, der die Bevölkerungsgrösse der Kantone beachtet. Das heisst, Zürich nimmt am meisten Menschen auf, am wenigsten Appenzell Innerrhoden.
- Wie geht die Verteilung auf kommunaler Ebene vonstatten?
Die meisten Kantone ziehen die Gemeinden in die Verteilung der Asylsuchenden mit ein. Weigern sich diese, die Asylsuchenden aufzunehmen, gehen die Kantone unterschiedlich vor. Zürich etwa zwingt seinen Gemeinden eine feste Quote zur Unterbringung der Flüchtlinge und Asylanwärter auf. Bern hat erlassene Verfügungen zurückgenommen, als diese auf kommunaler Ebene auf Widerstand stiessen. Und im Kanton Aargau können Gemeinden eine Ersatzvornahme in Form von Geld leisten, wenn sie vorläufig aufgenommene Personen nicht aufnehmen wollen.
Diskussionen sind nötig
Wenn nun der Bund mit den Kantonen weitere Massnahmen bespricht, ist dies laut Thomas Widmer, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, nichts mehr als «richtig». Denn die Schweiz sei in der Flüchtlingsfrage doppelt gefordert: «Zum einen ist sie ein kleines Land, das vor grosse Herausforderungen gestellt würde, schlösse etwa Deutschland die Grenzen und leitete so den Flüchtlingsstrom in Richtung Schweiz um.»
Zum anderen müsse die Schweiz «gemäss ihrem föderalistischen Prinzip agieren.» Konkret könne der Bund nicht alleine handeln, sondern sei auf die Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden angewiesen.
Keine seriösen Prognosen möglich
Ob es bei den Diskussionen bleibt oder tatsächlich zur Anwendung des Notfallkonzepts Asyl kommt, hängt aber in jedem Fall davon ab, ob ein entsprechender Bundesratsbeschluss ergeht oder nicht.
Voraussagen hierzu sind schwierig zu treffen. Dazu Léa Wertheimer, Mediensprecherin vom SEM: «Die Lage ist volatil, und kurzfristig sind verschiedene Entwicklungen möglich.» Dies würde «seriöse Prognosen» verunmöglichen.