Die Schweiz erhält von der EU kaum eine wirkungsvolle Zuwanderungsbremse und auch nicht den vollen Lohnschutz. Nun sind griffige Massnahmen im Inland gefragt, damit neue Abkommen an der Urne überhaupt den Hauch einer Chance haben.
Der für die Schweiz zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic und verschiedene Minister aus EU-Mitgliedstaaten sagten es heute in Luxemburg klar: Sie wollen nicht, dass die EU der Schweiz noch mehr entgegenkommt. Im besten Fall werden die Verhandlungen über neue bilaterale Abkommen bis Ende Jahr abgeschlossen. Mehr Zugeständnisse wird die Schweiz aber kaum mehr erreichen.
Zuwanderungsbremse bleibt ein Wunschtraum
Der Dämpfer für die Schweiz kam Anfang Oktober in Genf. Bundespräsidentin Viola Amherd erfuhr von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen persönlich, dass die EU der Schweiz keine einseitige Schutzklausel bei der Personenfreizügigkeit gewähren will.
Eine solche Schutzklausel ist für die Schweiz aber von zentraler Bedeutung, damit neue Abkommen mit der EU bei einer Volksabstimmung überhaupt mehrheitsfähig werden. Denn die Stimmung ist zunehmend EU-kritisch. Die SVP, die Gewerkschaften und Teile des Gewerbes unterstützen neue Verträge kaum. Und nun haben auch noch die milliardenschweren Gründer des Zuger Vermögensverwalters Partners Group eine EU-kritische Initiative lanciert.
Existierende Schutzklausel könnte angepasst werden
Im bestehenden Vertrag über die Personenfreizügigkeit existiert eigentlich bereits eine Schutzklausel. Nur ist diese sehr vage, und vor allem muss die EU mit der Aktivierung von Massnahmen einverstanden sein.
Im besten Fall erreicht die Schweiz, dass diese Klausel etwas konkreter wird. Aber dass daraus ein griffiges Instrument wird, dürfte ein Wunschtraum bleiben.
Lohnschutz ungelöst
Ebenfalls zeichnet sich ab: Die Schweiz wird kaum den vollen Lohnschutz erreichen. Ein Knackpunkt bleibt die merkwürdige EU-Spesenregelung: Mitarbeitende aus dem EU-Raum sollen zwar Schweizer Löhne erhalten, aber nur EU-Spesen. Dies sieht die Schweiz als Lohndumping. Weil die EU aber wohl auf dem Spesengrundsatz beharrt, braucht es auch beim Lohnschutz Kompensationsmassnahmen im Inland.
Zurzeit diskutiert das Staatssekretariat für Wirtschaft mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern solche Massnahmen. Denkbar ist beispielsweise, dass die Mindestlöhne in den Gesamtarbeitsverträgen breiter gelten sollen.
Breites Massnahmenpaket
Auch bei der Personenfreizügigkeit laufen Diskussionen über ein inländisches Massnahmenpaket. Diskutiert werden etwa Massnahmen für mehr günstige Wohnungen. Mitte-Präsident Gerhard Pfister will sogar, dass die Schweiz einseitig eine Schutzklausel einführt, auch wenn die EU nicht damit einverstanden ist.
Solche Schutzmassnahmen könnten auch ein Gegenvorschlag zur sogenannten 10-Millionen-Schweiz-Initiative der SVP sein. Die zuwanderungskritische Initiative wird praktisch zur selben Zeit wie das neue Vertragspaket mit der EU an die Urne kommen. Dieses Volksbegehren lässt sich nur mit einem Massnahmenpaket im Inland verhindern, sind viele im Bundeshaus überzeugt. Oder anders gesagt: Sollte die Initiative angenommen werden, sind neue bilaterale Verträge mit der EU obsolet.