Seit Mario Gattiker zum Staatssekretär ernannt wurde, häufen sich im Bundesamt für Migration BfM die Interviewanfragen. Die Medien wollen mit dem Mann reden, der in Brüssel über die Umsetzung der SVP-Einwanderungsinitiative verhandeln soll. Seine Person interessiert. Aber Gattiker gibt momentan keine Interviews: Es gebe nichts Neues zu sagen, heisst es nur von seinem Sprecher.
9. Februar als Paradigmenwechsel
Also hören wir zu, wie der Mann spricht – an einem Vortrag am Europainstitut der Universität Zürich. Aktuelle migrationspolitische Fragen bespricht Gattiker dort. Seine Position dringt durch: Die Zuwanderung habe der Schweiz viel gebracht. «Die Wirtschaft pflegte sich diejenigen Arbeitskräfte zu holen, die sie braucht. Dies brachte über weite Strecken Wohlstand und bereicherte unser Umfeld, unser Zusammenleben.»
Das Ja zur SVP-Initiative gegen Masseneinwanderung bezeichnet Gattiker als Paradigmenwechsel: Die Schweiz müsse ihre Position gegenüber Europa überdenken. Und das Ja zur Initiative sei auch ein Aufruf an die Politik: «Der 9. Februar ist ein klarer Apell, die in der Bevölkerung diskutierten Fragen – auch des inländischen Arbeitskraftspotenzials – anzugehen.»
Kenner der Migration
Gattikers Auftritt – im dunklen Anzug und mit gepflegtem Seitenscheitel – ist souverän. Locker stützt er sich aufs Rednerpult und spricht über eine Stunde. Die Zuhörer spüren, dass er weiss, wovon er redet: Während seiner ganzen Berufslaufbahn hat er im Asyl- und Ausländerbereich gearbeitet. Über zehn Jahre leitete er den Rechtsdienst des Hilfswerks Caritas, wechselte dann zum Bund und wurde vor drei Jahren zum Direktor des Bundesamtes für Migration ernannt.
Das ist keine Frage der persönlichen Befindlichkeit. Wir haben einen klaren Auftrag, den es umzusetzen gilt.
Für Gattiker ist das kein überraschender Wechsel: «Ich bin kein Träumer oder Romantiker. Nicht jeder Asylsuchender ist per se ein armer Kerl. Ich habe schon früher problemlos akzeptiert, dass ein negativer Bescheid eines Asylgesuchs eben ein negativer Bescheid ist.»
Keine Frage der Befindlichkeit
Am 9. Februar hat das Volk Ja gesagt zur Einschränkung der Zuwanderung mit Kontingenten. Die Europäische Union betont seither immer wieder, dass dies nicht mit der Personenfreizügigkeit vereinbar sei. In dieser verzwickten Situation eine Lösung zu finden, scheint schwierig bis unmöglich. Aber den Juristen und vierfachen Vater Gattiker beunruhigt das nicht. Jemand im Publikum fragt, wie optimistisch er denn nach Brüssel fahre?
«Das ist keine Frage der persönlichen Befindlichkeit. Wir haben einen klaren Auftrag, den es umzusetzen gilt. Optimismus oder Pessimismus – das spielt keine Rolle. Letztlich müssen wir eine Lösung finden, die die guten Beziehungen zu Europa sichert und das Erfolgsmodell Schweiz weiterhin am Leben erhält.»
In der Politik beliebt
Diese Antwort sagt einiges über den BfM-Direktor aus: Er ist ein sachlicher Typ. Wer sich umhört, was verschiedene Politiker von Gattiker halten, erhält fast nur positive Antworten. Das gilt für das rechte und linke Lager. Stellvertretend CVP-Nationalrat Gerhard Pfister: «Ich sehe kaum einen anderen, der die Interessen der Schweiz besser einbringen könnte. Vor allem seine Zurückhaltung und Sachlichkeit sind gute Voraussetzungen, um allenfalls mit der EU einen Konsens zu finden.»
Und auch nach dem Vortrag in Zürich reagieren die Leute positiv auf Gattiker: «Sehr kompetent», sagt ein Zuhörer. «Ich habe erfahren, wer er ist, und das gibt mir ein gewisses Vertrauen», meint ein anderer. Eine Frau vermisst etwas Charme, ansonsten könne sie sich aber vorstellen, dass er ein guter Vertreter sei.
Verhältnis «entkrampfen»
Doch das Schlusswort soll Mario Gattiker haben. Das Verhältnis zu Europa liegt ihm hörbar am Herzen: «Was es braucht, ist eine nüchterne und objektive Auseinandersetzung, ein Entkrampfen des Verhältnisses zur Europäischen Union. Dazu sind sachliche Beiträge von uns allen gefordert, damit die Dinge zum Schluss ins Lot kommen.»