SRF News Online: Edward Snowden hat gemäss der Website Wikileaks in der Schweiz Asyl beantragt. Wie stehen seine Chancen?
Stefan Frey: Es kommt nur das humanitäre Visum in Frage. Dafür müsste Edward Snowden nachweisen, dass er unmittelbar an Leib und Leben bedroht ist. Dieser Nachweis ist eher unwahrscheinlich, da er sich derzeit an einem sicheren Ort befindet. Seine Situation ist vergleichbar mit derjenigen syrischer Flüchtlinge in Jordanien. In Syrien können die vom Bürgerkrieg bedrohten Menschen kein Asyl beantragen, da eine Schweizer Vertretung vor Ort fehlt. Flüchten sie ins Nachbarland, sind sie nicht mehr an Leib und Leben bedroht und erhalten deshalb kein humanitäres Visum für die Einreise in die Schweiz.
Und wenn Snowden doch eine unmittelbare Bedrohung geltend machen könnte?
Wenn er wirklich nachweisen könnte, dass ihm in den USA ein ungerechtes Verfahren und eine unangemessene Strafe drohen – was sehr unwahrscheinlich ist –, wäre er in der Schweiz dennoch nicht sicher. Denn die USA würden vermutlich ein Auslieferungsgesuch einreichen, worauf die Schweiz reagieren müsste.
Snowden sagt, ihm drohe in den USA die Todesstrafe.
Die USA werden dies kaum bestätigen, und es ist schwierig, das Gegenteil zu beweisen. Ohnehin muss ihm ein Gericht erst den Prozess machen. Es ist eine verzwickte und hochpolitische Situation. Ich gehe davon aus, dass hinter den Kulissen enorme Bemühungen für eine Lösung ablaufen. Es gibt nicht so viele Länder, die sich trauen, einem offensichtlichen Gesetzesbrecher Schutz zu bieten. Seitens der USA würde eine ganze Maschinerie von Konsequenzen starten. Das wird sich manches Land gut überlegen.
Sein Pass ist ungültig, er hat kein russisches Visum. Welche Möglichkeiten hat Snowden noch?
Die US-Behörden bestätigen, dass er seine Reisepapiere jederzeit bekommt, wenn er in die USA zurückkehrt. Das wird er vermutlich nicht tun. Andere Länder können ihm provisorische Reisepapiere ausstellen, wenn sie dies wollen. Vielleicht ist ein südamerikanisches Land aus innenpolitischen Überlegungen heraus bereit dazu. Denn: Ein solcher Schritt demonstriert Stärke gegenüber den USA.
Die Schweiz kommt also nicht ins Spiel?
Die Schweiz wird sich vermutlich strikt ans Asylgesetz halten. Das ist meiner Meinung nach auch richtig. Für mich wäre es schwierig zu akzeptieren, wenn jemand, der offenbar das Gesetz gebrochen hat, Asyl erhält, während syrische Frauen und Kinder leer ausgehen.