Der Prozess gegen den Ex-HSBC-Mitarbeiter Hervé Falciani ist heute in die zweite Runde gegangen und bereits vor dem Mittag wieder unterbrochen worden. Wie schon beim Prozessauftakt Mitte Oktober war der mutmassliche Bankdatendieb wie angekündigt nicht erschienen. Obwohl ihm ein «Passierschein» angeboten worden war, mit dem er in die Schweiz hätte reisen können, ohne festgenommen zu werden.
Trotz Falcanis Abwesenheit befand das Gericht die Beweismittel nun für ausreichend, um den Prozess fortzusetzen. Mit der Befragung der ersten Zeugen soll jedoch erst morgen Dienstag begonnen werden.
Dass der 43-Jährige selbst nicht in Bellinzona erschien und dem Prozess auch weiterhin fernbleiben wird, bezeichnet die Bundesanwaltschaft als «bedauerlich». «Zumal es interessant gewesen wäre, wenn er sich hier selber verteidigt hätte», sagte Sprecher André Marti der «Tagesschau». Der Bundesanwaltschaft blieb einzig, ein Video als zusätzliches Beweismittel einzureichen, das Falcianis Ausführungen zum Fall bei einer Medienkonferenz in Frankreich von vergangener Woche zeigt.
Whistleblower oder Bankdatendieb?
Dem ehemaligen IT-Mitarbeiter der Bank HSBC wird in der Anklageschrift des Bundesstrafgerichts unter anderem unbefugte Datenbeschaffung, Verletzung des Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisses und die Verletzung des Bankgeheimnisses vorgeworfen.
Ende 2006 soll Falciani Informationen von HSBC-Konten gestohlen haben. Die Daten soll er anderen Instituten, aber auch ausländischen Behörden angeboten haben. Falciani soll deutsche, englische, italienische, spanische und französische Behörden anvisiert haben.
Ist Falcani aus Sicht der Bundesanwaltschaft damit schlicht ein Datendieb, der Kundendaten weiterverkaufte, gilt er manchen als Whistleblower, der einen flächendeckenden Steuerbetrug aufdeckte.
Falciani: «Prozess gegen Interessen der Schweiz»
In Bellinzona sagte Falcianis Anwalt Marc Henzelin heute vor Verhandlungsbeginn, viele der Anklagepunkte liessen sich abschwächen: «Am Schluss bleibt nicht viel übrig, was effektiv bewiesen ist; und bei der juristischen Einschätzung gehen die Meinungen natürlich auseinander.»
«In der Schweiz fehlen meiner Ansicht nach die Voraussetzungen für einen fairen und ausgeglichenen Prozess», hatte Falciani selbst vergangene Woche bei seiner Medienkonferenz in Frankreich gesagt. Bei der Verhandlung in Bellinzona handle es sich um eine «Arena», in der es darum gehe, den «Schein» zu wahren. «Ich denke, dass dieser Prozess leider ausschliesslich im Interesse der Bank ist. Sie bedient sich der Schweizer Institutionen, ich denke, sogar gegen die Interessen der Schweiz.»
Nicht gegen das Bankgeheimnis
Er sei jedoch bereit, sich vor einer Einrichtung wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verantworten, sagte Falciani. Sein Kampf habe sich nicht gegen das Schweizer Bankgeheimnis an sich gerichtet. Ihm sei es vor allem darum gegangen, den Mangel an Transparenz aufzudecken.
Dem Prozess in Bellinzona jedoch scheine Falciani herzlich wenig Interesse entgegenzubringen, sagt SRF-Reporterin Viviane Manz, die die Verhandlung in Bellinzona für die «Tagesschau» verfolgt. Darauf deute der Umstand hin, dass der Verteidiger des 43-Jährigen am Vormittag habe eingestehen müssen, seit zwei Monaten keinen Kontakt zu seinem Klienten mehr gehabt zu haben.
Viel grösser als an der Verhandlung vor dem Bundesstrafgericht sei Falcianis Interesse an der internationalen Politbühne, so Manz. Nichtsdestotrotz wird der auf sechs Tage angesetzte Prozess in Bellinzona morgen Dienstag fortgesetzt. Wann ein Urteil gesprochen wird, ist noch unklar.