Unter dem Schweizer Vorsitz sei die OSZE sozusagen zu neuem Leben erwacht, heisst es immer wieder. Dies weil dank der Schweizer Vermittlung das sogenannte Minsker Memorandum, der Friedensplan für die Ukraine, vereinbart worden ist.
Etwas zurückhaltender fällt das Lob aus, wenn man Menschenrechtsgruppen konsultiert. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) habe sich unter schweizerischer Führung vielleicht etwas sehr auf die offiziellen, grossen Parteien konzentriert, wird hier zum Teil kritisiert. Doch obwohl der Waffenstillstand in der Ostukraine labil ist, gilt das Minsker Memorandum als äusserst wichtiger Teilerfolg.
Diplomatisches Geschick gezeigt
«Die OSZE wurde schon mehrere Male totgesagt. Aber gerade in der Ukraine-Krise hat sie doch gezeigt, dass diese Organisation eine wichtige Rolle spielen kann und auch spielen soll», sagt die zierliche Schweizer Botschafterin Heidi Tagliavini. Sie war es, welche alle am Kriegsgeschehen Beteiligten an einen Tisch brachte.
Die Diplomatin war schon im ersten Tschetschenien-Krieg für die OSZE tätig. Dann war sie Chefin der UNO-Sondermission für Georgien und Abchasien und hat für die EU den Georgien-Krieg untersucht.
Seit diesem Frühjahr steht sie als Vertreterin des amtierenden OSZE-Vorsitzenden, Bundespräsident Didier Burkhalter, in der ukrainischen Hauptstadt Kiew im Einsatz.
«Alle anderen Plattformen haben versagt»
Zum Glück habe man im Ukraine-Konflikt auf die OSZE zurückgreifen können, meint der Politologe Andrej Sagorski, Professor an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Alle anderen multinationalen Plattformen hätten versagt.
«Der Nato-Russlandrat funktioniert fast nicht. Zwischen Russland und der EU läuft es auch nicht. Und die OSZE stellte sich als die einzige multinationale Plattform heraus, wo man – zwar natürlich mit Kontroversen, aber – miteinander gesprochen hat und sich auf einige Massnahmen zum Stopp der Ukraine-Krise einigen konnte.»
Es habe sich zudem als äusserst glückliche Fügung herausgestellt, dass die Schweiz in diesem Krisenjahr den OSZE-Vorsitz inne gehabt habe. «Das war eine grosse Chance für die OSZE. Und es ging dabei nicht nur darum, dass die Schweiz ein neutrales Land ist», sagt Sagorski.
Besondere Rolle als Vermittlerin
Die Schweiz werde von allen Seiten akzeptiert. Zudem habe es sich positiv ausgewirkt, dass die Schweiz die Präsidentschaft ernst genommen und sich lange vorbereitet habe, so der Politologe weiter. «Die lange Tradition insbesondere im Vermittlungsbereich hat die Schweiz ermächtigt, zwischen den Fronten zu agieren und die Gespräche zustande kommen zu lassen.»
Wichtig in der Vermittlung in dem Ost-West-Konflikt sei sicherlich auch gewesen, dass die Schweiz nicht nur kein Mitglied der Nato, sondern auch kein Mitglied der EU sei, meint die Schweizer Botschafterin Tagliavini. «Wir werden wohl weniger als andere Länder verdächtigt, eine sogenannte ‹hidden agenda› zu haben, also irgend jemandes Interessen zu vertreten. Das hilft bei der Glaubwürdigkeit.»
Wenn im kommenden Jahr Serbien den OSZE-Vorsitz übernimmt, wird die Schweiz ihre Aktivitäten zum Teil weiter aufrechterhalten können. Gleichzeitig aber, so der russische Politologe, wäre es jetzt äusserst dringend, über organisatorische Reformen für die OSZE nachzudenken.
Anstoss für Reform der Organisation
Denn die OSZE hätte im zu Ende gehenden Jahr nicht ebenso erfolgreich wirken können, wenn beispielsweise die Ukraine oder Russland den OSZE-Vorsitz inne gehabt hätten, sagt Sagorski. «Die Debatte darüber, wie die OSZE besser agieren kann, was geändert werden sollte, läuft seit langem. Es zeichnet sich noch kein Konsens ab. Aber ich gehen davon aus, dass mindestens der Einsatz der OSZE in der Ukraine-Krise uns ein Stück weiter gebracht hat.»
Vielleicht, wer weiss, werden die OSZE-Erfahrungen in der Ukraine tatsächlich die eine oder andere Reform innerhalb der OSZE anstossen.