«Sie suchten Zuflucht in der Schweiz und wurden am 18. Dezember 1943 zurückgewiesen», so steht es auf vier Stolpersteinen in Brissago. Die Mahnmale am Hafen erinnern an die tragische Geschichte der Familie Gruenberger. Der Entscheid der eidgenössischen Behörden bedeutet das Todesurteil.
Adele Horitzki Gruenberger, damals 55-jährig, ihr jüngerer Sohn Errico (19), und ihre Schwester Regina Horitzki Perugini (55) werden nach Auschwitz deportiert und ermordet. Egone (23), Adeles älterer Sohn, hat Glück. Ihm gelingt es, von einem Todeszug abzuspringen und sich Partisanen anzuschliessen. Diese helfen ihm, auf abenteuerlichen Wegen am 19. Februar 1944 doch noch ins sichere Onsernonetal zu gelangen.
Als einzige darf Egones Frau bleiben. Die 22-jährige Edith Szimkowics Gruenberger ist schwanger und verbringt die Zeit bis zum Kriegsende in Flüchtlingsunterkünften im Tessin.
Die Gruenbergers stammen aus Fiume, dem heute kroatischen Rijeka, wo sie im Textilhandel tätig waren. Wie viele italienische Jüdinnen und Juden geraten sie ab September 1943 in tödliche Gefahr. Italien hat kapituliert und kämpft auf amerikanischer und alliierter Seite fortan gegen Nazideutschland. Wehrmacht und SS besetzen den Norden des Landes bis zur Grenze. Am Gardasee installiert Benito Mussolini eine faschistische Marionettenrepublik.
Vom Bahnhof Mailand ins Vernichtungslager
Die Gruenbergers entschliessen sich, zu fliehen. Schmuggler bringen sie für 55'000 Lire (rund 10'000 Franken) zum Valmara, einem steilen, wilden Tal. Vor Brissago bildet der Bergbach die Grenze.
«Der psychologische Druck muss enorm gewesen sein. Sie mussten befürchten, von Faschisten oder Nazis verhaftet zu werden. Eine Zurückweisung durch die Schweizer konnten sich die Gruenbergers nicht vorstellen», erzählt der Tessiner Historiker Raphael Rues vom Verein «Insubrica Historica».
Aber bereits einen Tag nach der Einvernahme verfrachten eidgenössische Grenzsoldaten die Gruppe über den Lago Maggiore nach Dirinella TI und von dort nach Italien. Die Familie läuft den Deutschen in die Hände. In Varese und Mailand kommen die Gruenbergers in ein Gefängnis. Am 30. Januar 1944 verlässt ein Zug mit den Gruenbergers und 600 Männern, Frauen und Kindern den Bahnhof Mailand. Mit Endstation Auschwitz. Egone kann unterwegs fliehen.
Opfern einen Namen geben und Zivilcourage zeigen
Liliane Isaak-Dreyfus vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund SIG findet Stolpersteine dringend nötig. «Sie geben diesen Menschen einen Namen. Sie mahnen künftige Generationen, die Menschenrechte zu wahren, Zivilcourage zu zeigen und sich für eine stabile Demokratie einzusetzen.»
Mitorganisiert hat die Feier der Verein Stolpersteine Schweiz. Bereits früher hat die Organisation Steine in Zürich, Basel, Bern, Winterthur und St. Gallen gesetzt.
Vorstandsmitglied Jakob Tanner will die Verstrickungen unseres Landes in die Geschichte des Holocaust aufzeigen. «Gelingt es uns, einen nationalen Erinnerungszusammenhang zu schaffen, der die Verantwortung der Schweiz in der Zeit des Nationalsozialismus herausstreicht, dann haben wir etwas erreicht», so der emeritierte Geschichtsprofessor.
Der Kanton Tessin hat rund 7000 jüdische Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg aufgenommen. Allerdings hat er auch 500 bis 700 dieser Verfolgten abgewiesen – wie die Gruenbergers.