SRF News: «Unbeirrbar» sei sie, haben Sie vor vier Jahren geschrieben. Trifft das auch auf die Art und Weise zu, wie die Bundesrätin zurückgetreten ist?
Esther Girsberger: Meines Erachtens ja. Sie hat das von langer Hand insofern vorbereitet, als dass sie nicht nur rechnete, sondern genau erwartete, was eingetreten ist. Das hat sie meines Erachtens nicht stark beeindruckt. Sie hat sich gesagt: Ich habe Tag und Nacht hart gearbeitet, habe getan, was ich konnte, was in meinem Ermessen lag, ohne nach rechts und nach links zu schielen. Sie wusste, dass es schwierig werden würde, wenn sie sich zur Wiederwahl stellt.
Sie hat schwierige acht Jahre als Bundesrätin gehabt, nicht nur schwierige Dossiers, sondern auch ein vergiftetes Verhältnis zu ihrer ehemaligen Partei. Wie hat sie das weggesteckt?
Sie hat nie irgendein böses Wort fallenlassen gegenüber Personen, die ihr das Leben nicht nur schwergemacht haben, sondern sie aufs Gröbste angegriffen haben. Das heisst nicht, dass sie das nicht belastet hat. Was sie durchgemacht hat, würde ich nicht meinen ärgsten Feinden zumuten. Ihr hat sicher geholfen, dass sie sich in die Dossiers vergraben hat. Es gab genug zu tun, und von daher konnte sie sich etwas befreien, aber belastend war es vor allem die ersten drei Jahre und anschliessend im Hinblick auf die Wiederwahl vor vier Jahren. Danach hat sich das Ganze etwas entspannt. Auch die SVP hat nicht mehr permanent auf sie geschossen, aber unbelastet liess sie die Situation sicher nicht, denn sie war eine überzeugte Vertreterin der Bündner SVP. Der Rausschmiss aus der Partei hat sie nicht kaltgelassen.
Die Reform des Finanzplatzes mit der Weissgeldstrategie ist die grosse Leistung von Eveline Widmer-Schlumpf. Wollte sie das wirklich, oder gab sie einfach dem Druck des Auslandes nach?
Die Bundesrätin hat ein sehr starkes Wertegefühl. Die Weissgeldstrategie war ihr schon als Finanzdirektorin des Kantons Graubünden und als Präsidentin der Finanzdirektorenkonferenz ein grosses Anliegen. Selbstverständlich hätte sie gerne agiert und nicht nur auf Druck des Auslandes, vor allem der USA, reagiert, aber ich glaube, sie wusste, was auf sie zukommt. Sie hat mit bestem Wissen und Gewissen das umgesetzt, was sie als gerecht ansieht. Und dazu gehört bis zu einem gewissen Grade auch die Anpassung des Bankgeheimnisses.
Eveline Widmer-Schlumpf hat ein starkes Wertegefühl.
In der Amtszeit von Frau Widmer-Schlumpf waren eine Zeit lang die Frauen in der Mehrheit im Bundesrat. Nach ihrem Rücktritt werden es wohl wieder nur noch zwei Frauen sein in der Landesregierung sein. Hat sie anders politisiert als es ein Mann an ihrer Stelle getan hätte?
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Ich habe Mühe mit diesen Klischees, Frauen seien emotional und richteten sich eher nach dem Bauchgefühl, während man den Männern sachorientiertes Arbeiten zuschreibt. Aber wenn man sie in diese Klischees einordnen will, dann ist sie eine ausgesprochene Sachpolitikerin. Diesbezüglich könnte man sagen, sie hat eher männlich politisiert, wobei ihr die Frauenanliegen je länger desto mehr wichtig waren. Das merkt man auch mit der Frauenquote, die Simonetta Sommaruga im Bundesrat durchgebracht hat. Das wäre nicht gegangen, wenn nicht auch Eveline Widmer-Schlumpf sich dafür eingesetzt hätte.
Wissen Sie, was sie nächstes Jahr tun wird?
Ich habe nicht mehr Kontakt zu ihr als andere auch. Sie wird sicher wieder Arbeit haben. Ich könnte mir vorstellen, auch aufgrund der vielen internationalen Beziehungen, die sie aufbauen konnte, dass sie eine Aufgabe im internationalen Finanzbereich übernehmen wird. Und ganz sicher kann man sie beim Wort nehmen, wenn sie sagt, sie wolle mehr Zeit für ihre Familie haben. Sie ist ein ausgesprochener Familienmensch.