Ihre ersten Einsätze waren gering. Doch nach kurzer Zeit waren sie im Sog der Online-Geldspiele. Ex-Spielsüchtige, die anonym bleiben wollen, erzählen «Kassensturz»: «Am Anfang wollte ich noch mehr gewinnen. Als ich aber immer mehr verlor, spielte ich weiter, um das Geld wieder reinzuholen.» Daran erinnert sich auch ein anderer ehemaliger Spielsüchtiger: «Ich merkte, jetzt verliere ich nur noch. Ich hatte Existenzängste, auch Selbstmordgedanken. Ich konnte nicht mehr.»
Risiko Online-Casino
Die Coronapandemie treibt immer mehr Menschen in die Spielsucht. Diese Erfahrung macht auch Franz Eidenbenz, Behandlungsleiter im Zentrum für Spielsucht Radix in Zürich: «Wir sind ausgelastet und haben Wartelisten.» Viele Spielsüchtige haben mehrere zehntausend Franken Schulden, bis sie sich Hilfe holen.
Rund drei Prozent der Schweizer Bevölkerung – knapp 200’000 Menschen – zeigen gemäss der letzten Gesundheitsbefragung des Bundes von 2017 ein risikoreiches oder krankhaftes Glücksspielverhalten. Das Risiko, bei Online-Spielen süchtig zu werden, ist gemäss Studien um ein Vielfaches höher als in realen Casinos. Die Gründe: Die Anonymität, permanente Verfügbarkeit und die Möglichkeit, in mehreren Online-Casinos gleichzeitig zu spielen.
Massive Werbeoffensive
Ob im TV, Internet, als Online-Artikel getarnt oder auf Plakaten: Stets lockt die Online-Geldspielwerbung mit Boni und schnellen Gewinnen. Einschränkungen für Schweizer Casino-Werbung gibt es kaum. Das Geldspielgesetz von 2019 schreibt vor: «Veranstalterinnen von Geldspielen dürfen nicht in aufdringlicher oder irreführender Weise Werbung betreiben.»
Zu schwammig sei das geltende Gesetz formuliert, kritisiert Verhaltenssuchtexperte Renanto Poespodihardjo von den psychiatrischen Universitätskliniken Basel. Viele Online-Casino-Werbungen würden genau auf Spielsuchtgefährdete abzielen. Der Psychologe warnt: «Das ist hochproblematisch.»
Zunahme seit Pandemiebeginn
Zahlen zeigen: Die Werbepräsenz Schweizer Online-Casinos hat ausgerechnet mit dem Pandemie-Beginn stark zugenommen: Die durchschnittliche monatliche Werbepräsenz der Schweizer Online-Casinos hat sich mehr als verdoppelt: Von 0,9 Millionen Franken im Jahr 2019 ist sie auf 2,1 Millionen im Jahr 2020 angestiegen – ohne Berücksichtigung möglicher Rabatte.
Spielsperre nützt zu wenig
Betroffene kritisieren: Der Spielerschutz sei auch bei Schweizer Online-Casinos unzureichend: «Von den Casinos kam gar nichts. Ich habe mich selbst sperren lassen», so ein ehemaliger Spielsüchtiger. Die Spielsperre allein schütze zu wenig, hält Therapeut Franz Eidenbenz fest: «Je nachdem spielen die Betroffenen dann an einem anderen Ort weiter.»
Anlaufstellen für Betroffene:
Für Verhaltenssuchtexperte Renanto Poespodihardjo ist klar, dass Werbung für Online-Casinos so nicht mehr länger erlaubt sein sollte. «Wir haben hier ein psychoaktives Produkt, das Geldspiel. Die Werbung müsste genau wie Alkohol oder Tabak auch reguliert werden. Sowohl inhaltlich, bei der Menge und betreffend Platzierung.»