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Bulgariens Staatschef in der Schweiz
Aus Tagesschau vom 13.10.2014.
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Schweiz «Wir müssen ehrlicher werden»

Der frisch gewählte bulgarische Präsident Rossen Plewneljew ist zurzeit in der Schweiz zu Besuch. Im Gespräch mit SRF übt er sich in Selbstkritik: Die politische Führung seines Landes sei verantwortungslos und egoistisch. Das will der ehemalige Bauarbeiter ändern.

Machohaft und ordinär: Diesen Eindruck erwecken Politiker vom Balkan regelmässig in Parlamentsdebatten oder an öffentlichen Auftritten. Dies geht Rossen Plewneljew völlig ab. Eher würde der bulgarische Präsident als Direktor eines edlen Hotels durchgehen. Sein Temperament ist zurückhaltend, seine Person ist einnehmend, das Lächeln gewinnend, die Sprache gepflegt.

Ich sehe mich selber als Teil dieser Elite, die nicht in der Lage ist, mehr Stabilität zu schaffen. Darum schlage ich scharfe Töne an: Wir müssen ehrlicher werden.

Doch Plewneljew kann auch unbequem sein. Er ist nicht zufrieden mit dem Gang der Dinge in seinem Land und teilt deshalb gegen alle Seiten aus – und ist durchaus auch selbstkritisch: «Es liegt an der bulgarischen Politik, mehr Verantwortung zu übernehmen und mehr Leistung zu erbringen. Ich sehe mich selber als Teil dieser Elite, die nicht in der Lage ist, mehr Stabilität zu schaffen. Darum schlage ich scharfe Töne an: Wir müssen ehrlicher werden.»

Ehrlichkeit ist ein Fremdwort in der bulgarischen Politik. Seit Jahren bekämpfen und beschimpfen sich die Akteure in übler Fäkalsprache und betrachten den Staat als Selbstbedienungsladen für ihre privaten Interessen, statt sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. «Wir haben im Parlament so viele Auseinandersetzungen, jeder kämpft gegen jeden», beklagt Plewneljew.

Audio
Staatspräsident mit kühlem Kopf - Rossen Plewneljew
aus Echo der Zeit vom 13.10.2014. Bild: Reuters
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Vor einer Woche wurde gewählt, Bulgarien sucht die fünfte Regierung innerhalb von nur zwei Jahren. Die Koalitionsverhandlungen sind seit heute im Gang, doch es sieht nicht nach einer raschen Lösung aus. Bisher haben alle Parteien nur erklärt, was sie nicht und mit wem sie nicht wollen. Konstruktives ist nicht zu erfahren. Das ist es, was den Präsidenten so ärgert, denn er möchte eine lösungsorientierte Politik: «Probleme sollen gelöst werden. Das bedingt, dass man sie auf den Tisch legt, statt sie zu verstecken und der nächsten Generation zu überlassen.»

Probleme hat Bulgarien genug: das noch immer ärmste Land der EU braucht dringende Reformen im Sozial- und Gesundheitswesen, bei der Bildung, der Justiz, im Energiebereich. Die Zivilgesellschaft in Bulgarien reiche der Politik die Hand zu Reformen, Transparenz und Leistung, sagt Plewneljew. «Darauf muss die Politik eingehen, statt sich im Parlament mit Partisanenkämpfen aufzuhalten.»

Das Vertrauen in die Politik ist sehr gering. Nicht einmal die Hälfte der Stimmbevölkerung mochte sich vorletzten Sonntag zum Gang an die Urne aufraffen. Nirgends in Europa sind die Menschen pessimistischer und unzufriedener als in Bulgarien, das ist statistisch erhärtet. Aber sie lassen sich nicht mehr alles bieten. Im vorletzten Winter gingen sie wegen zu hohen Heizkosten so zahlreich auf die Strasse, dass die damalige Rechtsregierung zurücktreten musste. Seit letztem Sommer demonstrierten sie so hartnäckig gegen politische Korruption, dass auch die Linksregierung den Hut nahm.

Wir sind hierher gekommen, um von den Besten zu lernen.

Für Präsident Plewneljew ein ermutigendes Zeichen: «Darauf bin ich stolz. 25 Jahre nach dem Fall des kommunistischen totalitären Regimes sehen wir jetzt eine aktive Zivilgesellschaft, die von der Politik bessere Ergebnisse und mehr Transparenz fordert.»

Schweiz unterstützt Reformen

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Die Schweiz stellt Bulgarien 76 Millionen Franken zum Abbau von wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der EU zur Verfügung .Über diesen Erweiterungsbeitrag sprachen am Montag Bundespräsident Didier Burkhalter und der bulgarische Präsident Rosen Plevneliev an einem offiziellen Treffen in der Schweiz.

Der ehemalige Bauarbeiter ist deshalb zuversichtlich. Als Präsident versteht er sich gewissermassen als oberster Verkäufer seines Landes. Als solcher ist er heute nach Bern gekommen, wo er unter anderem potentielle Investoren getroffen hat und sich an einer Berufsschule das duale Bildungssystem erklären liess. «Wir sind hierher gekommen, um von den Besten zu lernen», lobt Plewneljew. Das duale Berufsbildungssystem der Schweiz bringe unglaubliche Ergebnisse. «Die Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz ist fast gleich null, bei uns beträgt sie 27 Prozent. Wir den Jungen eine Zukunft geben. Und das geht nur über Ausbildung.»

Der bulgarische Präsident will sein Land voranbringen. Wichtige Entscheidungen kann er mangels politischer Machtbefugnisse nicht fällen. Aber mit seiner Präsenz und seiner Direktheit kann er dazu beitragen, dass Bulgarien das Image des Schwarzen Peters vielleicht einmal loswird.

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