Der Krieg kam der Fabrik der Schweizer Weidmann-Gruppe in Malyn, westlich von Kiew, sehr nahe: Im vorletzten Jahr waren russische Truppen zeitweise weniger als 100 Kilometer entfernt. Trotzdem sei es nie eine Option gewesen, die Ukraine zu verlassen, sagt der Chef der Weidmann Gruppe, Maximilian Veit: «Wir haben vor Ort Know-how und ein loyales Team aufgebaut. Das aufzugeben, kam für uns nicht infrage.»
Rund 600 Mitarbeitende stellen in der Ukraine Isolationsmaterialien her für Strom-Transformatoren. Rund 60 Schweizer Firmen sind in der Ukraine aktiv. Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco will in einer ersten Phase ausschliesslich sie berücksichtigen: Die Firmen sollen Produkte liefern in den Bereichen Energie, Verkehr oder Wasserversorgung. Zahlen dafür wird die Schweiz.
Mehrere Unternehmen stehen bereit
Eine halbe Milliarde Franken will der Bundesrat in den nächsten vier Jahren via Schweizer Unternehmen in den Wiederaufbau investieren. Die Weidmann-Gruppe ist interessiert. Im Gespräch sind auch Firmen wie die Sanitärprodukte-Herstellerin Geberit, der Holzverarbeiter Swiss Krono oder die Glas-Produzentin Glas Trösch. Öffentlich äussern möchten sie sich nicht. Stefan Brupbacher, der Direktor des Industrie-Branchenverbands Swissmem, sagt aber: Es stünden mehrere Firmen bereit für die Wiederaufbau-Hilfe.
Zum Nachteil der Ukraine?
Allerdings ist die Hilfe selbst umstritten. Andreas Missbach ist Geschäftsleiter bei Alliance Sud, dem Dachverband der grössten Schweizer Hilfswerke. Er sagt: Helfen mit Schweizer Unternehmen – das sei nicht zwingend im Interesse der Ukraine. Schweizer Produkte seien vielfach teurer als andere Produkte. «Die Ukraine kriegt entsprechend weniger von dem, was sie braucht.»
Swissmem-Direktor Brupbacher kontert: Schweizer Produkte böten vielfach beste Qualität. Man dürfe nicht naiv sein: Die USA und EU-Staaten etwa würden ihre Beratungsunternehmen bei internationalen Entwicklungsbanken platzieren. «Diese strukturieren dann die Ausschreibungen so, dass ihre Firmen zum Zug kommen.»
In einer ersten Phase der Wiederaufbau-Hilfe müssen Firmen, die zum Zug kommen, als Gegenleistung etwas zur Entwicklung der Ukraine beitragen: Im Vordergrund steht die Berufsbildung.
«Jede Regierung unterstützt die eigene Wirtschaft»
Die Hilfe beginnt nächstes Jahr. Später, in einer zweiten Phase, sollen auch Unternehmen profitieren, die nicht in der Ukraine sind. Ein Staatsvertrag zwischen Kiew und Bern soll festhalten, dass bei Schweizer Projekten die Schweizer Wirtschaft bevorzugt wird.
Diese zweite Phase gehe definitiv zu weit, kritisiert Hilfswerk-Vertreter Missbach: «Das ist etwa so, wie wenn Sie Einkaufsgutscheine von der Migros erhalten – dabei möchten sie eigentlich gerne Ihren lokalen Dorfladen erhalten.» Dmytro Sidenko ist Präsident des ukrainisch-schweizerischen Wirtschaftsverbands – er findet es legitim, dass Schweizer Firmen profitieren. «Jede Regierung muss die eigene Wirtschaft unterstützen». Es gehe um wirtschaftlichen Wiederaufbau, nicht um humanitäre Hilfe.
Der geplante Staatsvertrag muss vors Parlament. Möglicherweise braucht es auch Gesetzesanpassungen. National- und Ständerat also werden vorgeben: In welchem Ausmass Schweizer Firmen Vortritt erhalten beim Wiederaufbau der Ukraine.