Sie waren 23 Stunden am Tag eingesperrt und durften nur einmal pro Woche duschen: In der Untersuchungshaft wurden Inhaftierte bis vor Kurzem derart restriktiv behandelt, dass der Kanton Zürich von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert worden war.
Heute ist das anders: Die 1200 Personen, die pro Jahr im Kanton Zürich in die Untersuchungshaft kommen, dürfen nun täglich acht Stunden ausserhalb der Zelle verbringen und haben Kontakt zu anderen Gefängnisinsassen. Die Haftbedingungen sollen sich künftig noch weiter verbessern
40 Prozent der Insassen machen freiwillig mit
Deswegen läuft in den Kantonen Zürich und Bern seit Oktober 2023 ein Modellversuch in elf Untersuchungsgefängnissen. Das Programm ist freiwillig. Bis jetzt haben sich 40 Prozent der Inhaftierten bereiterklärt, mitzumachen, sagten die Verantwortlichen am Dienstag vor den Medien.
Zwar bleibe die Untersuchungshaft eine Haft, sagte die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP). Schliesslich gehe es darum, eine Wiederholungs- oder Fluchtgefahr zu verhindern: «Jedoch muss beachtet werden, dass die Unschuldsvermutung gilt. Deshalb steht die Wiedereingliederung im Vordergrund.»
Arbeitsplatz und Wohnung möglichst behalten
Die Inhaftierten sollen ihre Kontakte so gut wie möglich aufrechterhalten können, ergänzt der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP): «Denn sollten sie wieder freikommen, sollen sie möglichst dort fortfahren können, wo sie aufgehört haben.»
Es soll also verhindert werden, dass Insassen der Untersuchungshaft ihren Arbeitsplatz oder ihre Wohnung verlieren. Dabei helfe ein Gespräch mit dem Sozialdienst beim Haftantritt: «Wenn wir feststellen, dass die Miete nicht mehr bezahlt werden kann, schauen wir mit dem Inhaftierten, ob wir eine Lösung finden», sagt Projektleiter Stefan Tobler. Solche Massnahmen geschehen immer in Absprache mit der Staatsanwaltschaft. Denn die laufenden Ermittlungen dürften nicht gestört werden.
Erste Ergebnisse werden 2028 erwartet
Ein weiteres Programm unterstützt die Inhaftierten dabei, mit Stress umzugehen. Auch die Angestellten in den Gefängnissen werden im Rahmen des Modellversuchs geschult, in schwierigen Situationen besser auf die Inhaftierten eingehen zu können. Insgesamt kostet das Projekt 12.8 Millionen Franken. Unterstützt wird es vom Bundesamt für Justiz, denn erfolgreich erprobte Massnahmen sollen auf andere Kantone übertragen werden.
Nach dem ersten Jahr des Versuchs seien die Rückmeldungen positiv, sagt Projektleiter Stefan Tobler: «Jemand hat sich etwa wegen des Programms entschlossen, sich mit seinem Suchtproblem auseinanderzusetzen.» 150 Personen hätten bereits an einer psychologischen Beratung teilgenommen.
Eine systematische Auswertung liege allerdings noch nicht vor. Die ETH und die Universität Zürich begleiten das Projekt wissenschaftlich. Erste Ergebnisse erwarten die Verantwortlichen 2028.