Die Beziehungen der Schweiz zu Frankreich waren in den letzten Jahren angespannt, nun stehen die Zeichen auf Entspannung. Der französische Präsident Emmanuel Macron ist für zwei Tage zu Besuch in der Schweiz. Doch warum kommt Macron erst jetzt, und wie steht er zur Schweiz? Der in Paris lebende Politologe und Historiker Joseph de Weck hat die wichtigsten Antworten.
SRF News: Dies ist der erste offizielle Staatsbesuch von Präsident Macron in der Schweiz. Warum erst jetzt?
Joseph de Weck: Die Schweiz ist für Macron nicht besonders relevant, um seine politischen Ziele zu erreichen. Bei seinem Amtsantritt 2017 versprach er zwei Dinge: Zum einen will er Frankreich aus der wirtschaftlichen Lethargie und Stagnation befreien, zum anderen will er ein souveränes Europa aufbauen. Ein Europa, das den chinesischen Staatskapitalismus zurückdrängt, den globalen Kapitalismus zähmt und die Interessen des eigenen Kontinents wahrt.
In diesem europäischen Projekt spielt die Schweiz bekanntlich keine Rolle. Das wird auch deutlich, wenn man seine Reiseroute betrachtet. Mehrmals war er in Finnland, im Baltikum und in den Niederlanden. Die Besuche in diesen Ländern bringen ihm einen Vorteil am Verhandlungstisch in Brüssel. Macron ist ein transaktionaler Politiker, der nur das tut, was ihm etwas bringt.
Im historischen Kontext ist das heutige Verhältnis ruhig.
Wie ist das aktuelle Verhältnis zwischen Frankreich und der Schweiz?
Im historischen Kontext ist das heutige Verhältnis ruhig. Frühere Streitpunkte wie das Bankgeheimnis sind Geschichte. Was zurzeit fehlt, ist ein positives gemeinsames politisches Projekt. Das hätte zum Beispiel der Kauf der französischen Rafale-Kampfflugzeuge sein können, gegen den sich die Schweiz entschieden hat. Kurzum: Es fehlt der Höhepunkt, aber wir befinden uns auch nicht am Tiefpunkt.
Frankreich könnte in Brüssel eher zu den schwierigeren Verhandlungspartnern gehören.
Kann die Schweiz bei der Wiederaufnahme der Verhandlungen mit der EU auf die Unterstützung Frankreichs hoffen?
Frankreich befürwortet mit Sicherheit eine geregelte Beziehung zwischen der Schweiz und der EU. Bei einer Wiederaufnahme der Verhandlungen wird Frankreich aber klare eigene Interessen haben und diese auch vertreten. Aus Schweizer Sicht könnte Frankreich in Brüssel eher zu den schwierigeren Verhandlungspartnern gehören.
In Paris gibt es Tausende, die glauben, einen guten Draht zu Macron zu haben.
Bundesrat Berset soll einen guten Draht zu Präsident Macron haben. Kann das helfen?
In Paris gibt es Tausende, die glauben, einen guten Draht zu Macron zu haben. Eines seiner Talente ist es, den Menschen ein gutes Gefühl zu geben. Er ist aufmerksam, er hört zu und suggeriert Zugänglichkeit. Der französische Schriftsteller Emmanuel Carrère sagte über Macron, dass er sogar einen Stuhl umgarnen würde, wenn dieser ihm über den Weg läuft. Ich kann mir also gut vorstellen, dass er und Berset ein gutes Verhältnis haben. Aber bei Macron ist es so: Leute, die ihm nichts mehr bringen, lässt er skrupellos fallen. In Paris sind diesbezüglich viele von ihm enttäuscht.
Was erhofft sich Präsident Macron von einem Besuch in der Schweiz?
Ich vermute, dass er unter anderem der französischen Bevölkerung in der Schweiz einen Impuls geben möchte. Seine Partei hat hierzulande hervorragende Resultate erzielt. Die Schweiz interessiert ihn sicher auch für eines seiner neuen Projekte. Eine europäische politische Gemeinschaft, grösser als die EU. Eine Organisation, in der sich die Staaten als Souveräne auf Augenhöhe begegnen. Die Schweiz, wie auch andere Nicht-EU-Staaten, sind an einer Teilnahme interessiert.
Das Gespräch führte Simone Hulliger, Mitarbeit: Géraldine Jäggi.