Eine Schleuse trennt die Welten: Auf der Covid-Station sind Besuche von Angehörigen nur in Ausnahmefällen erlaubt. Darum wurde die Pfarrerin Susanna Meyer Kunz zur Vermittlerin zwischen den Erkrankten und Sterbenden hier und den Angehörigen draussen. Sie leitet die evangelische Spitalseelsorge am Universitätsspital Zürich. Vor ihrem Theologiestudium hat sie als Pflegefachfrau gearbeitet.
«Auf der Station liegen die Covid-Patienten auf dem Bauch oder dem Rücken. Sie sind intubiert und nicht wach, sind sediert», erzählt Meyer Kunz. Angehörige dürfen Patientinnen und Patienten nur besuchen, wenn diese im Sterben liegen, oder wenn sie sich vom Leichnam verabschieden wollen. Ursprünglich war nicht mal dies vorgesehen. Damit wollten die Spitäler verhindern, dass sich Angehörige anstecken oder der Betrieb durch die vielen Besuche belastet wird.
Aber die Spitalseelsorgerinnen und -seelsorger haben sich gemeinsam bei den Spitälern für ein minimales Besuchsrecht eingesetzt. Im Universitätsspital Zürich galt die Regel, dass Angehörige bei weniger als fünf Todesfällen täglich Abschied nehmen dürfen. Zum Glück sei diese Zahl nie erreicht worden, sagt Meyer Kunz rückblickend.
Stimmen, Lieder, Psalmen
Angehörige nehmen auf unterschiedliche Arten aus der Ferne mit den Patienten Kontakt auf. So habe sich der Sohn eines Schwererkrankten etwa gewünscht, dass Meyer Kunz dem Patienten Stimmen verschiedener Verwandter und Angehöriger abspiele, erzählt die Seelsorgerin.
Ein anderer viel geäusserter Wunsch sei, dass sie Worte aus der Bibel vorlese. So sei der Psalm 23 beliebt bei den Angehörigen. Sie habe am Patientenbett auch schon Lieder im Auftrag der Angehörigen vorgesungen, zum Beispiel «Über den Wolken» von Reinhard Mey.
Die Tochter eines anderen Covid-Patienten habe sich gewünscht, dass Meyer Kunz ihm ein Klavierlied von ihr abspiele. «Der Angehörige hat grosse Freude an der Musik seiner Tochter.» Sie habe das Stück über Whatsapp aufgenommen und geschickt. «Wir konnten beobachten, dass sich der Puls des Patienten beim Klavierspiel erhöht hat.»
Der Übergang von krank und gesund hat mit Covid-19 nochmals eine neue Dimension erhalten.
Sie habe sich immer wieder Grenzen setzen müssen. Zum Selbstschutz. Sie habe nicht Angst vor der Krankheit, aber Respekt. «Bei einer Sterbebegleitung hatte eine Angehörige, die nicht anwesend war, gewünscht, dass ich der Person die Hand halte. Ich habe abgelehnt. Eine Pflegefachfrau hat ihr dann aber die Hand gehalten. Das fand ich sehr eindrücklich.»
Jetzt, wo die Fallzahlen zurückgehen und die Spitäler zum Normalbetrieb zurückkehren – was nimmt Susanne Meyer Kunz mit? «Die eigene Betroffenheit. Der Übergang von krank und gesund hat mit Covid-19 nochmals eine neue Dimension erhalten.» Im Spital trennt eine Schleuse die Schwerkranken von den Gesunden. Und doch sind die Grenzen fliessend geworden.