Sieben umzäunte Gebäude auf einer Passhöhe, rundherum eine menschenleere Moorlandschaft: Das ist das Truppenlager auf dem Glaubenberg im Kanton Obwalden, das seit 2015 als Asylzentrum gebraucht wird. Rund 320 Geflüchtete wohnen dort.
Das Leben auf so engem Raum verläuft nicht spannungsfrei, doch die meisten Menschen verhielten sich diszipliniert, sagt Nicola Neider. Sie kennt die Unterkunft und weiss, unter welchen Belastungen die Geflüchteten leiden.
SRF News: Im November kam es in der Unterkunft auf dem Glaubenberg zu Auseinandersetzungen mit Verletzten, die Polizei nahm fünf Personen fest. Ist die Stimmung gewalttätiger geworden?
Nicola Neider: Nein, das hat sich wieder sehr beruhigt. Aus meiner Sicht lag die Ursache für die Auseinandersetzungen bei Einzelpersonen, die psychisch unter Druck standen, was sich manchmal in Gewalt entlädt. Die meisten Menschen aber leben friedlich in der Unterkunft. Es sind grundmenschliche Themen, die zu solchen Vorfällen führen können.
Themen, die Sie mit den Geflüchteten dann auch besprechen?
Genau. Die Menschen kämpfen mit Heimweh, Trauer, Angst um die Familie in der Heimat. Mit Unsicherheit auch, die einher geht mit einer tiefen Erschöpfung von einem langen und schwierigen Fluchtweg. Ich biete mich an, damit die Leute mir davon erzählen können und dadurch vielleicht Entlastung finden.
Sie sind aber keine Psychologin...
Nein, ich habe keine therapeutische Ausbildung. Aber ich arbeite gut mit dem Gesundheitsteam vor Ort zusammen. Sie machen mich etwa auf Leute aufmerksam, die psychische Probleme haben. Es gibt immer wieder auch Menschen, die wollen sich das Leben nehmen, die sind so verzweifelt, sie sehen keinen Ausweg mehr. Das sind Leute, mit denen ich ins Gespräch komme.
Aber was können Sie als Seelsorgerin denn tun?
Ganz wichtig ist es, dass die Leute die Möglichkeit haben, über ihre Gefühle zu sprechen. Ich erlebe zum Beispiel bei Frauen aus dem Iran oder der Türkei, dass sie ein grosses Freiheitsbedürfnis haben. Da ist eine Energie, die zuerst vielleicht als Leid an die Oberfläche tritt, aber eigentlich ist es eine Stärke. Gespräche können diesen Frauen helfen, diese Stärke bei sich selber zu entdecken.
Ich stehe für ein System, das diese Menschen für sich als sehr ungerecht erleben.
Was ist das Schwierigste bei diesen Gesprächen?
Die anspruchsvollsten Gespräche sind jene mit Menschen, bei denen Erinnerungen an die Unterdrückung in der Heimat oder an die Flucht hochkommen, jetzt, wo sie in Sicherheit sind. Und natürlich mit Asylsuchenden, die mit einer Ausschaffung rechnen müssen. Da frage ich mich manchmal: Was soll ich jetzt noch sagen? Manchmal habe ich mit solchen Leuten ein intensives Gespräch und wenn ich eine Woche später wieder auf dem Glaubenberg bin, sind sie bereits weg.
Und wo stossen Sie an Ihre Grenzen?
Die Grenzen sind in der Gesetzgebung, im ganzen europäischen Migrationssystem. Ich kann nichts ändern und nichts entscheiden, und ich darf den Menschen keine falschen Hoffnungen machen. Ich stehe für ein System, das diese Menschen für sich als sehr ungerecht erleben, weil sie extrem viel auf sich genommen haben, um hierher zu kommen. Ich versuche, die Menschen, die mit einer Ausschaffung rechnen müssen, darauf vorzubereiten, was sie erwartet.
Viele sind über Kroatien in die Schweiz gekommen und müssen nun dorthin zurück. Ich habe mir die Asyleinrichtungen in Kroatien angesehen und kann den Menschen sagen: Euch erwartet dort zumindest keine physische Gewalt – aber wohl auch keine Perspektive auf einen positiven Asylentscheid.
Das Gespräch führte Lea Schüpbach.