Gleich zwei Bundesräte haben heute den Abstimmungskampf gegen die «Selbstbestimmungs»-Initiative der SVP gestartet: Simonetta Sommaruga und der abtretende Johann Schneider-Ammann. Offiziell trägt die Initiative den Titel «Schweizer Recht statt fremde Richter». Sie fordert, dass die Bundesverfassung Vorrang vor völkerrechtlichen Bestimmungen hat.
Der SVP ist ihre Volksinitiative ein grosses Anliegen: Immer häufiger würden Volksentscheide vom Parlament nicht umgesetzt oder von Gerichten gestoppt. Diese Entwicklung müsse aufgehalten werden, sagt SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt: «Was wir in den letzten Jahren erlebt haben, ist, dass man die direkte Demokratie, die Volksrechte, immer mehr beschneidet, mit dem Hinweis, dass man das wegen dem internationalen Recht alles nicht umsetzen könne.»
Diese Entwicklung gelte es rückgängig zu machen, so Vogt, «damit wir wieder eine Möglichkeit der Mitbestimmung unserer Bürger im Land haben». Es ist eine Tatsache, dass Konflikte zwischen der Bundesverfassung und gewissen internationalen Verträgen bestehen. Stein des Anstosses für die SVP ist immer wieder der Konflikt zwischen dem Masseneinwanderungsartikel, welcher die Zuwanderung bremsen soll, und dem Personenfreizügigkeitsabkommen.
Spielraum der Richter soll eingeschränkt werden
Ein zweites Problem ist die Ausschaffung von straffälligen Ausländern. Gemäss der Ausschaffungsinitiative müssten gewisse Personen die Schweiz verlassen. In einzelnen Fällen hat sich das Bundesgericht aber auf die Europäische Menschenrechtskonvention gestützt und die Ausschaffung abgelehnt.
Die Gerichte würden immer häufiger politische Urteile fällen, kritisiert Vogt. Mit der Initiative wolle die SVP den Einfluss der Richter einschränken: «Wir wollen nicht, dass sich eine kleine Gruppe von Personen hinter juristischen Argumenten versteckt, wenn es in Wirklichkeit um politische Entscheide geht.»
Bundesrat will sich nicht auf Experiment einlassen
Solche obersten, politischen Entscheide sollten durch Volk und Stände getroffen werden, argumentiert Vogt. Die anderen Parteien und der Bundesrat sehen das ganz anders: Die Initiative sei schädlich für die Schweiz, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga zum Auftakt des Abstimmungskampfes an einer Medienkonferenz in Bern.
«Jedes Mal, wenn es einen Konflikt gibt mit einem internationalen Vertrag, müsste die Schweiz neu verhandeln und dann nötigenfalls den Vertrag kündigen.» Der Schweiz gehe es gut. «Auch dank der internationalen Verträge, die wir abgeschlossen haben. Deshalb ist der Bundesrat der Meinung, dass wir uns auf dieses gefährliche Experiment nicht einlassen sollten», so Sommaruga.
Zum Zeichen, für wie gefährlich die Landesregierung die Initiative hält, ist sie gleich in doppelter Besetzung vor die Medien getreten: Neben der Justizministerin sass Johann Schneider-Ammann.
Schweizer Wirtschaft würde ein Dämpfer drohen
Der Wirtschaftsminister befürchtet, die Schweizer Wirtschaft würde bei einer Annahme der Initiative leiden: «Ich engagiere mich, um aufzuzeigen, was die Risiken sind. Die Initiative würde einen Dämpfer bedeuten. Dem ist vorzubeugen. Deshalb: Nein.» Das Fazit des Bundesrates lautet also: Die «Selbstbestimmungs»-Initiative sei gefährlich für die Wirtschaft und schlecht für die Verlässlichkeit der Schweiz als Vertragspartnerin.
Hier prallen zwei Sichtweisen hart aufeinander: Die SVP will mit ihrer Initiative nichts weniger als die Schweizer Demokratie retten, die sie gefährdet sieht; für den Bundesrat ist sie dagegen eine Gefahr für die Schweiz. Am 25. November wird das Stimmvolk darüber entscheiden, welche Sichtweise es teilt.