Müde, aber glücklich: So trat Doris Leuthard am Dienstagnachmittag vor die Medien, nach rekordverdächtigen sechs Tagen Debatte im Nationalrat über die bundesrätlichen Energiepläne für die Zukunft. «Ich bin natürlich sehr zufrieden mit den Resultaten. Die grossen Linien dieser Energiestrategie stehen», sagte sie.
Leuthard hat sich fast auf der ganzen Linie durchgesetzt. Mit satten Mehrheiten im Nationalrat hat sie es geschafft, über 150 Minderheitsanträge – vor allem von Seiten der SVP und der FDP – regelrecht wegzufegen. CVP-Präsident Christophe Darbellay ist begeistert von seiner Bundesrätin: «Diese Koalition ist sehr solide gewesen – auch dank dem Engagement von Doris Leuthard.»
Die Energieministerin habe die wichtige Vorlage von Anfang an geprägt, sagt Darbellay: «Sie ist extrem gut vorbereitet gewesen, sie spricht die Leute an und kann auch die Bevölkerung überzeugen. Das ist ihre grosse Stärke.»
«Sie sind ja ein netter Kerl, aber...»
Und diese Stärke hat die Bundesrätin die politischen Gegner denn auch spüren lassen. Wer gegen sie argumentierte, hatte laut Leuthard entweder die Unterlagen nicht gelesen oder sie einfach nicht verstanden. «Herr Girod, schreiben sie sich das auf!», oder: «Das ist doch absurd!», so der Originalton aus der Debatte. Und weiter: «Sie sind ja ein netter Kerl, Herr Müri. Aber gerade bei der Information und bei der Ausbildung reicht es eben nicht nur mit Nettsein.»
Und Albert Rösti von der Berner SVP bekam zu hören: «Hören sie auf mit Märchen. Kümmern sie sich um die echten Zahlen. Das müssen wir schon irgendwann Mal hinkriegen.» Phasenweise sei er sich vorgekommen wie in einer Schulstunde, so Rösti, einer der Wortführer des Widerstandes gegen die leuthard'schen Energiepläne: «Wenn man erzählt, wir würden hier von Märchen sprechen, nimmt man unsere Position zu wenig ernst.»
Leuthard profitiert von Glaubwürdigkeit
Christian Wasserfallen von der FDP – auch er ein pointierter Kritiker der Energiestrategie – wundert sich über die Art der Bundesrätin: «Bei mir kommt das schlecht an. Übrigens auch bei der Bevölkerung.» Er sieht das Problem zum Teil auch darin, dass Leuthards Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation mehrere Volksabstimmungen verloren hat. «Namentlich auch die Autobahnvignette.»
Aber nicht nur die Verlierer rechts im Parlament ärgern sich. Auch links relativiert man den Erfolg der Energieministerin. Bastien Girod von den Grünen sagt: «Ich denke, sie ist vor allem kommunikativ sehr stark und schafft es, sich als Ausstiegsministerin zu positionieren. Wenn man genauer hinschaut, muss man aber sagen: Im Vergleich zu Merkel fehlt Frau Leuthard der Mut.»
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel habe das Atomausstiegsdatum auf 2022 festgesetzt, während Leuthard alles offen lasse, bemängelt Girod. Leuthard profitiere halt davon, dass man als Bundesrätin schwerer anzugreifen sei, findet wiederum FDP-Mann Wasserfallen: «Man hat eine andere Rolle, eine andere Position, vielleicht von Grund auf eine andere Glaubwürdigkeit. Das nutzt sie aus.»
Mit dem «Auslaufmodell» in den Wahlkampf
Deshalb hoffen Wasserfallen wie auch Rösti, dass am Schluss das Volk über die Energiestrategie wird abstimmen können. Dann werde es für Leuthard nicht mehr so einfach sein, die Argumente der Gegner zu übergehen, ist Rösti überzeugt: «Die Zahlen, die wir aufgezeigt haben, wonach diese Wende am Schluss circa 1000 Franken pro Familie pro Jahr kosten wird, die können dann nicht vom Tisch gewischt werden. Ich denke, dieses Spiel ist noch nicht ausgespielt.»
CVP-Präsident Darbellay hingegen freut sich schon jetzt, im Wahljahr mit seiner Atomausstiegsministerin für die Partei werben zu können: «Sie ist sehr beliebt, sie ist die Nummer eins seit Jahren, unbestritten, unschlagbar. Das ist sicher ein Trumpf, den wir spielen werden.» Für ihre Gegner hat die erfolgreiche Bundesrätin derweil schon jetzt einen Trost parat. Angesprochen auf die Laufzeiten der Schweizer Atomkraftwerke meinte Leuthard am Dienstag vor den Medien scherzend: «Es ist sicher richtig, dass ich auch ein Auslaufmodell bin.»