Einer der umstrittensten Punkte der Energiewende ist die Laufzeit der fünf Atomkraftwerke in der Schweiz. Nun hat der Nationalrat als erster Rat entschieden: Der Betrieb der AKW soll nicht eingeschränkt werden. Nur für die ältesten unter ihnen – Beznau I und II – ist nach 60 Jahren Schluss. Beznau I geht also 2029 vom Netz, Beznau II zwei Jahre später. Das dritte Kraftwerk der ersten Generation, jenes in Mühleberg, wird ohnehin 2019 abgeschaltet. Die Atomkraftwerke Gösgen und Leibstadt hingegen sollen so lange betrieben werden, wie sie sicher sind.
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Grüne, Grünliberale und Linke hatten sich vergeblich für eine Beschränkung ins Zeug gelegt. «Wir haben in der Schweiz das älteste AKW der Welt», sagte Grünen-Nationalrat Bastien Girod. Es gehe darum, die Lehren aus Fukushima zu ziehen. «Dort hat man die Sicherheit den Betreibern überlassen.»
SP-Politiker Max Chopard-Acklin argumentierte, dass die AKW in der Schweiz nicht für eine Laufzeit von über 50 Jahren gebaut wurden. Vielmehr seien die Betreiber anfangs von 30 bis 40 Jahren ausgegangen. Doch eine generelle Beschränkung auf 60 oder 50 Jahre Laufzeit hatte im Rat keine Chance.
Zahlen Bürger für AKW-Abschaltung?
Bundesrätin Doris Leuthard hatte zuvor davor gewarnt, politische Laufzeiten festzulegen. Dies könnte zu Entschädigungsforderungen der AKW-Betreiber führen, sagte sie. Und dafür müssten am Ende die Steuerzahler aufkommen.
Doch Niederlagen musste nicht nur Links-grün einstecken, sondern auch die Rechte, zusammen mit dem Bundesrat. Denn der Nationalrat hat weiter beschlossen, dass die Betreiber der Atomkraftwerke nach 40 Jahren Betrieb ein sogenanntes Langzeitbetriebskonzept vorlegen müssen.
Darin müssen sie zeigen, was sie tun, um die Sicherheit der alternden Kernkraftwerke zu gewährleisten. Erhalten die Betreiber von der Atomaufsichtsbehörde Ensi grünes Licht, dürfen sie das AKW während der nächsten zehn Jahre weiter laufen lassen – bis erneut eine Überprüfung fällig wird.
Sieg für Atomlobby
Zu reden gab auch, was «sicher» überhaupt bedeutet. Vertreter von grüner und linker Seite wollten, dass die Sicherheitsanforderungen grösser werden, je älter ein Meiler wird. Dass also immer mehr Geld in die Sicherheit investiert werden muss. Doch es kam anders: Der Nationalrat sprach sich lediglich für einen «sicheren» Betrieb aus und gegen die Anforderung einer «steigenden Sicherheit».
«Die Atomlobby hat sich in diesem Punkt durchsetzen können», analysiert SRF-Korrespondent Christof Nufer den Entscheid der grossen Kammer. Auch in einem zweiten entscheidenden Punkt habe sich die AKW-Lobby durchsetzen können, sagt Nufer: Der Nationalrat will, dass AKW-Betreiber Schadenersatz verlangen können, wenn ein Kraftwerk aus politischen Gründen vom Netz muss – und nicht aus Sicherheitsgründen. Der Entscheid kam zustande, obwohl sich zuvor eine Mehrheit dagegen ausgesprochen hatte.
Ja zum Verbot neuer AKW
Weniger zu diskutieren als die Laufzeiten gab das Verbot neuer AKW. Der Nationalrat will im Gesetz verankern, dass keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden dürfen. Er bestätigte damit den Entscheid, den er im Herbst 2011 getroffen hatte. Die SVP und ein Teil der FDP wehrten sich vergeblich gegen ein «Technologieverbot», die Ausstiegsallianz der Mitte- und Linksparteien blieb in dieser Frage stabil.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat den ersten Teil der Energiestrategie 2050 nach 20 Stunden Beratungen mit 110 zu 84 Stimmen bei 1 Enthaltung gut. Am Dienstag wird sich der Nationalrat noch mit der Atomausstiegsinitiative der Grünen befassen. Diese verlangt, dass alle Schweizer AKW höchstens 45 Jahre laufen dürfen. Beznau I müsste ein Jahr nach Annahme der Initiative vom Netz gehen.
Über die Initiative wird in jedem Fall das Volk entscheiden, sofern sie nicht zurückgezogen wird. Über die Gesetzesänderungen entscheidet das Volk nur, wenn dagegen das Referendum ergriffen wird.