Nach den Wahlen vom 18. Oktober ist der Nationalrat deutlich nach rechts gerückt. Die SVP konnte 11 zusätzliche Sitze gewinnen, die FDP immerhin deren drei. Die Mitteparteien und auch die SP und die Grünen verloren hingegen allesamt Mandate.
Zusammen mit der Tessiner Lega und der Genfer MCG vereinen SVP und FDP nun 101 Sitze auf sich – genug also, um jede Vorlage zu ihren Gunsten entscheiden zu können: Hat sich die neue rechtsbürgerliche Macht in der ersten Session nach den Wahlen bereits bemerkbar gemacht?
Neue Kultur ohne Tabus
Für die SP war der Rechtsrutsch im Nationalrat bereits in der ersten Session der neuen Legislatur deutlich zu spüren. «Besonders klar äusserten sich die veränderten Kräfteverhältnisse bei der AHV-Plus-Debatte », so Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL). Es habe sich eine neue Kultur ohne Tabus etabliert, bei welcher man nicht zurückschrecke, bedürftige AHV-Bezüger als «egoistische Wohlstandsverwöhnte» zu bezeichnen.
«AHV-Rentner werden nun dazu aufgefordert. ihre Bedürfnisse an den Lebensstandards der dritten Welt zu messen. Dabei haben sie den Wohlstand erschaffen, von dem wir heute profitieren», so Leutenegger Oberholzer.
Für Rats- und Parteikollege Corrado Pardini (SP/BE) machte sich der Rechtsrutsch primär bei der Sitzverteilung in den Kommissionen bemerkbar: «In der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) hat die SVP die FDP gewissermassen zu ihrem Juniorpartner gemacht. Mit dreizehn von 25 Sitzen dominieren sie nun die Kommission.»
Doppelt so hart arbeiten
Für Pardini zeigen sich die neuen Machtverhältnisse auch bei der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern: «Bisher funktionierte die Sozialpartnerschaft gut. Nun haben sich die Arbeitgeber der SVP an die Brust geworfen und helfen ihr, ihre Vorlagen durchzuboxen.» Pardini zufolge müsse nun die Linke doppelt so gut arbeiten wie bisher und Widerstand leisten mit Referenden.
Auch die Grünen stellen sich auf schwierige Zeiten ein. Bastien Girod (Grüne/ZH) schraubt deshalb vorsorglich seine Erwartungen herunter. Der ultimativ «schockierende Entscheid» sei zwar seit Beginn der neuen Legislatur noch nicht gefallen. «In der Frühlingssession bei der Debatte um die Energiepolitik könnte sich die Situation aber zuspitzen», so der grüne Nationalrat.
Der Rechtsrutsch zeigte sich Girod zufolge bei den Abstimmungen zum Voranschlag 2016, doch auch darüber hinaus: «Jede knappe Abstimmung, die nach dem links-rechts-Schema verläuft, hätten wir in der vergangenen Legislatur gewonnen.»
Befürchtete Allianzen bleiben Ausnahmen
Anders empfinden hingegen die Mitteparteien die veränderten Kräfteverhältnisse im Nationalrat. «Es gibt keinen eigentlichen Rechtsrutsch in der grossen Kammer», sind sich die Ratskollegen Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL) und Martin Landolt (BDP/GL) einig. Im Gegenteil: Die FDP übernehme nun Verantwortung und spiele eine wichtige Rolle als vernünftige Kraft.
Landolt erklärt sich diesen Umstand damit, dass die FDP bei drei Viertel der Vorlagen eher eine Mitte- als eine rechtsbürgerliche Partei sei. «Die viel befürchteten Allianzen zwischen FDP und SVP werden Ausnahmen bleiben», ist sich der BDP-Präsident sicher. Schneider-Schneiter erwartet indessen klare Bündnisse bei finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen: «Für die SVP und FDP wird es nun einfacher sein, wirtschaftsfreundliche Entscheide zu fällen.»
Kein Staatsstreich, keine Revolution
Ebenfalls keine nennenswerten Veränderungen stellen bislang die Nationalräte Christian Lüscher (FDP/GE) und der Albert Rösti (SVP/BE) fest. Für Lüscher vollzog sich der Wandel in der grossen Kammer auf eine ganz natürliche Weise: «Es gab keinen Staatsstreich und keine Revolution.» Rösti wiederum glaubt, dass es zu früh ist für einen Klimawechsel: «Da muss schon noch etwas Zeit vergehen, ehe wir das feststellen können.»
Für Rösti steht jedoch fest, dass die Volksinitiative für eine Grüne Wirtschaft noch vor einem halben Jahr vom Rat durchgewunken worden wäre. Nicht so in der neuen Legislatur. Mit Spannung erwartet der Berner Politiker die Frühlingssession. «Wir werden zusammen mit der FDP zwar die Energiestrategie nicht ablehnen können, aber es wird uns voraussichtlich gelingen, namhafte Regulierungen rückgängig zu machen.»
Lüscher zufolge ist sich die FDP durchaus bewusst, dass sie in der neuen Legislatur das Zünglein an der Waage spielt. «Die FDP will die neue Mehrheit nicht missbrauchen, sondern bei ihrer Linie bleiben. Gespannt ist der Genfer Nationalrat vor allem auf die Unternehmensreform III. «Das ist ein sehr wichtiges Geschäft. Trotz unserer Mehrheit im Rat müssen wir auf alles gefasst sein.»