Die Schweiz hat viele Gesichter. Da gibt es das Land der Seen und Berge, in dem Milch und Schokolade fliessen. Weniger klischiert, dafür historisch verbrieft, ist die humanitäre Schweiz, die bis zu IKRK-Gründer Henry Dunant zurückreicht. Und da gibt es den Schweizer Finanz- und Bankenplatz – tief in die DNA des helvetischen Erfolgsmodells eingeschrieben, und am Anfang manch wenig ruhmreichen Kapitels Schweizer Zeitgeschichte.
Eines davon endgültig schliessen, und damit die «Reputation unseres Finanzplatzes wahren», will der Bundesrat mit dem Potentatengelder-Gesetz. Mit ihm sollen Gelder ehemaliger Diktatoren rascher eingezogen und an geprellte Staaten zurückgeführt werden können; die «Lex Mubarak» soll Lücken der «Lex Duvalier» von 2011 schliessen.
Mobilmachung der Weissgeldstrategen
Und das nach Möglichkeit schnell: denn der Arabische Frühling spülte neben unterdrücktem Freiheitsdrang auch verschleppte Volksvermögen in Milliardenhöhe an die Oberfläche.
Der Bundesrat reagierte prompt und erliess 2011 mehrere Vermögenssperren per Notrecht; auch, um rufschädigenden Attacken auf den «Piratenhafen Schweiz» zuvorzukommen. Nun will der Bundesrat die geltende Praxis ins ordentliche Recht überführen – was im Grundsatz von den meisten Parteien mitgetragen wird.
Doch der Teufel steckt im Detail. Eine bürgerliche Allianz im Nationalrat versetzte der Mobilmachung der Weissgeldstrategen in der Sommersession einen argen Dämpfer. Sie pochte darauf, dass Gelder nur eingezogen werden können, wenn die Straftaten der Potentaten nicht verjährt sind. Und definierte den Kreis ihnen nahe stehender, und damit verfolgbarer, Personen enger.
Insbesondere die Verjährung war ein Nackenschlag für den Bundesrat. Denn erfahrungsgemäss können sich die Fälle jahrzehntelang hinziehen. Im ungünstigsten Szenario müsste die Schweiz gesperrte Gelder an gestürzte Machthaber zurückgeben – nach Jahren juristischer Scheingefechte, die einzig der Verschleppung des Verfahrens dienen.
Eine Frage der Moral
Heute nun kam die Vorlage vor den Ständerat. Dessen Aussenpolitische Kommission hatte sich im Vorfeld für den Entwurf des Bundesrats stark gemacht. Die Regierung durfte sich also berechtigte Hoffnungen machen, dass das Potentatengelder-Gesetz durch die kleine Klammer neue Schlagkraft erhält. Und die Hoffnungen sollten nicht enttäuscht werden.
Aussenminister Didier Burkhalter wandte sich gleich zu Beginn der Debatte an die kleine Kammer: «Die Praxis funktioniert. Jetzt brauchen wir eine Gesetzesgrundlage.» Von der juristischen hievte der Bundesrat die Vorlage dann auf die moralische Ebene: «Es ist eine Güterabwägung zwischen den Wirtschaftsinteressen und den fundamentalen Werten der Schweiz – diese müssen, und sie können in Einklang gebracht werden.»
Denn die Schweiz sei Weltmeister bei der Rückführung von Potentatengeldern; Kritiker sehen diese Vorreiterrolle freilich darin begründet, dass die Schweiz auch führend in deren Anhäufung sei. Was Thomas Minder, den Vater «Abzocker-Initiative», zu seinem Lieblingsthema schweifen liess: «Die Banker müssen endlich aufhören, diese Gelder anzunehmen, um Boni in ihre Kassen zu spülen.»
Kleine Kammer stützt den Bundesrat
Burkhalter schloss mit dem Aufruf an die kleine Kammer, auf die Linie des Bundesrats einzuschwenken – damit der Schweiz künftig nicht die Hände gebunden seien. Und der Ständerat zeigte sich weit handzahmer als der Nationalrat. Bei der Verjährung, der gravierendsten Abschwächung durch die grosse Kammer, folgte er widerspruchlos der Position der Regierung: Diebstahl am eigenen Volk soll nicht verjähren.
Zudem folgten die Ständeräte dem Bundesrat auch in einer weiteren strittigen Frage, der loseren Definition von Personen, die Potentaten nahe stehen. Schliesslich winkte der Ständerat die Vorlage mit 41 zu 0 Stimmen durch. Ein heikles Dossier wurde damit ohne nennenswerte Gegenwehr abgenickt – ein voller Erfolg für den Bundesrat. Zumindest für den Moment. Zurück im Nationalrat, bei der Differenzbereinigung, dürfte der Vorlage ein schärferer Wind entgegenwehen.
Die eindrücklichsten Fälle von Potentaten-Geldern in der Schweiz
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Bild 1 von 9Legende: Ferdinand Marcos führte 1972 auf den Philippinen das Kriegsrecht ein. Verwandte und Freunde des Diktators und seiner Frau Imelda kontrollierten die Wirtschaft zu grossen Teilen und konnten so Millionen Dollar auf ausländische Bankkonten transferieren. Erst 2003 wurden in der Schweiz gesperrte Vermögen an die Philippinen überwiesen. Keystone
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Bild 2 von 9Legende: Genannt wurde er «Baby Doc», der zwischen 1971 und 1986 diktatorisch regierende Präsident Haitis, Jean-Claude Duvalier. In seiner Regierungszeit hatte er zwischen 300 und 800 Millionen Dollar aus Haiti auf ausländische Bankkonten transferiert. Die Schweiz fror 2002 knapp acht Millionen Franken auf seinen Bankkonten ein. Reuters
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Bild 3 von 9Legende: 1993 übernahm Sani Abacha die Macht in Nigeria und führte eine Militärdiktatur ein. Nach seinem Tod wurden 1999 in der Schweiz mehrere Bankkonten von ihm entdeckt, auf denen rund 700 Millionen Dollar lagen. Abacha hatte während seiner Amtszeit mehr als eine Milliarde Dollar aus Erdöleinnahmen ausser Landes gebracht. Reuters
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Bild 4 von 9Legende: Joseph-Désiré Mobutu, genannt Mobutu Sese Seko, war von 1965 bis 1997 Präsident der Demokratischen Republik Kongo (Zaire). Als Regierungschef liess Mobutu Milliardenbeträge aus der Gewinnung von Bodenschätzen auf ausländischen Konten deponieren. Erst nachdem er hunderte Millionen abgezogen hatte, konnten Restbeträge in der Schweiz blockiert werden. Reuters
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Bild 5 von 9Legende: Zwischen 1990 und 2000 war Alberto Fujimori Präsident von Peru. Während seiner Amtszeit fungierte Vladimiro Montesinos als Chef des Geheimdienstes und war in der Lage, hohe Geldsummen ins Ausland zu transferieren. Im Februar 2013 konnten über 31 Millionen Dollar nach Peru zurückgeführt werden, die in der Schweiz und in Luxemburg deponiert waren. Keystone
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Bild 6 von 9Legende: 1995 wurden in Genf die Frau von Raul Salinas und deren Bruder in einer Bank verhaftet, wo sie Geld abheben wollten. Zuvor hatte der Bund 118 Millionen Dollar auf Konten von Salinas beschlagnahmt. Das Geld von Raul Salinas, Bruder des mexikanischen Ex-Präsidenten Carlos Salinas, stammte aus Drogendelikten. 2008 ging 74 Millionen an Mexiko. Reuters
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Bild 7 von 9Legende: Die Umwälzungen in den arabischen Ländern nach 2010 führten im Maghreb (Nordafrika) zum Sturz der herrschenden autoritären Regime. 2011 blockierte die Schweiz nach dem Sturz des ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak 650 Millionen Franken auf Schweizer Konten. Die Massnahme war auf drei Jahre beschränkt. Reuters
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Bild 8 von 9Legende: Bei der Jasminrevolution in Tunesien flüchtete der damalige Machthaber Zine al-Abidine Ben Ali. 2011 wurden in der Schweiz 60 Millionen Franken aus dem Vermögen des Clans des gestürzten Staatspräsidenten eingefroren. Im April 2014 verfügte die Bundesanwaltschaft, rund 40 Millionen Dollar vorzeitig an Tunesien zurückzuerstatten. Keystone
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Bild 9 von 9Legende: Im Februar 2014 sperrt die Schweiz Vermögen des gestürzten Präsidenten der Ukraine, Viktor Janukowitsch, und seiner Entourage. Rund 75 Millionen Franken werden auf Bankkonten eingefroren. Betroffen sind auch Vermögenswerte seiner zwei Söhne, des ehemalige Ministerpräsident Mykola Asarow und des Jung-Oligarchen Sergei Kurtschenko (Jahrgang 1985). Reuters