Zunächst sind da die Affären am Bundesstrafgericht in Bellinzona: Seit Monaten ist das Gericht wegen Mobbing und Sexismus in den Schlagzeilen. Im Januar leitet die Verwaltungskommission des Bundesgerichts eine Untersuchung ein.
Jetzt zeigen Recherchen der Rundschau, dass es noch während der Untersuchung es zu einem neuen Zwischenfall kommt. Am 20. Februar werden Steckbriefe aufgehängt. Steckbriefe der Mitarbeitenden: «Wanted», dazu das «Delikt».
«Beinchen» und «Klatschtante»
Etliche der Plakate sind derb, vor allem die der Frauen. Verbrechen: «fertile» (fruchtbar) steht da. Und: «gambetta» (Beinchen). Oder: «chiacchierona» (Klatschtante), oder «Presidents lover» (Geliebte des Präsidenten). Bei einer Richterin und einem Richter aus dem Tessin steht: «Not Wanted».
Verantwortlich für die Aktion war der inzwischen pensionierte Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser. Er rechtfertigt sie heute auf Anfrage mit dem Karneval. Das sei humoristisch gemeint gewesen, er habe niemanden verletzen wollen.
Die politischen Reaktionen aus dem Tessin sind kritisch: Nationalrat Marco Romano (CVP) hält fest: «Fasnacht feiert man an Fasnachtsanlässen und nicht in einem Bundesgericht.» Die Einschätzung von Nationalrätin Greta Gysin (Grüne): «Das ist für mich klar, dass das nicht nett und lustig gemeint ist, sondern gemacht wurde, um persönlich zu verletzen.»
Bundesgericht: «Fall erledigt»
Das Bundesgericht aber interessiert sich nicht für den Vorfall. Im Bericht der Verwaltungskommission des Bundesgerichts zu den Umständen in Bellinzona wird der Karnevalsvorfall nicht erwähnt.
Der Präsident des Bundesgerichts, Ulrich Meyer, erklärt: «Die Präsidentin des Bundesstrafgerichts hat dem Unfug blitzschnell ein Ende bereitet, indem sie die teils sexistischen Plakate entfernt und an einem sicheren Ort aufbewahrt hat.» Damit war der Fall für ihn erledigt – zumal Bundesstrafrichter Hochstrasser inzwischen pensioniert sei.
Eine Ermittlungstaktik, die Fachleute überrascht. Der Basler Professor für Strafrecht, Mark Pieth: «Mich erstaunt, dass man das in dem sensiblen Kontext, nicht zur Kenntnis nimmt. Für mich wären das Beweismittel.»
Bundesgerichtspräsident entschuldigt sich
Doch da ist noch mehr. Es existiert eine Audioaufnahme: Zu hören ist Bundesgerichtspräsident Meyer. Am Rande der Untersuchungen wegen Mobbing und Sexismus äussert er sich negativ über eine abwesende Bundesstrafrichterin. Die Rundschau hat folgende Aussagen notiert:
- «Die quasselt»
- «Sie hat einen giftigen Blick»
- «So eine Magersüchtige»
- «Ich kann sie nicht länger als zwei Sekunden anschauen.»
Damit konfrontiert erklärt Meyer der Rundschau: «Ja, die Aussagen habe ich gemacht. Nicht der Richterin gegenüber, sondern im engsten Kreis. Das Unrecht, das ich ihr damit zugefügt habe, bedauere ich zutiefst. Zumal ich für sie eine grosse Wertschätzung habe. Ich habe sofort Kontakt mit ihr aufgenommen und mehrere gute Gespräche geführt und ihr ein formelles Entschuldigungsschreiben geschickt.»