«Ich wurde gerade von dem älteren Herrn da hinten belästigt», beschwert sich eine Frau beim Busfahrer. Dieser reagiert eher genervt: «Wir sollten jetzt losfahren. Was ist denn passiert?»
Diese Szene spielen eine Schauspielerin und ein Schauspieler vor rund 30 Mitarbeitenden der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) vor. Es läuft die erste von drei Abendveranstaltungen anlässlich des Projekts «Zürich schaut hin», das sich gegen sexistische, trans- und homofeindliche Belästigungen im öffentlichen Raum richtet.
Zeugen sollen einschreiten
Gefragt sei Zivilcourage. Und zwar schon bei subtileren Belästigungen wie verbalen Bemerkungen oder Anstarren: «Wenn jemand im öffentlichen Raum geschlagen wird, toleriert man das nicht und mischt sich ein», sagt Dayana Mordasini, die beim Präsidialdepartement der Stadt unter anderem als Co-Projektleiterin von «Zürich schaut hin» arbeitet. «Belästigung mit Worten oder Gesten ist auch nicht in Ordnung. Auch da müssen wir uns einmischen.»
Belästigung mit Worten oder Gesten ist nicht in Ordnung.
Die Kampagne richtet sich nicht nur an die Adresse des Personals des öffentlichen Verkehrs – insbesondere die unbeteiligten Zeugen sollen reagieren, wenn sie Grenzüberschreitungen beobachten, so das Ziel. Um darauf aufmerksam zu machen, fährt seit Februar etwa ein Präventions-Linienbus auf Zürichs Strassen umher. Auf Plakaten stehen Handlungsempfehlungen: «1. Hinschauen, 2. Einschätzen, 3. Überlegt handeln».
Seit Mai 2021 ist ein Meldetool der Stadt Zürich aufgeschaltet. Opfer und Zeugen von Belästigung können dort online Vorfälle melden. In den rund zwei Jahren sind bereits mehr als 1500 Meldungen eingegangen.
Personal im Zwiespalt
Die Meldungen betreffen etwa Vorfälle wie jener, der den VBZ-Mitarbeitenden vorgespielt wird: Eine Frau ärgert sich über einen Fahrgast, der laut telefoniert. Und ruft durch den Bus: «Gehts etwa noch schwuler?»
Bei Busfahrerinnen oder Billetkontrolleuren gibt die Frage zu reden, ab wann es sinnvoll ist, einzuschreiten. Denn sie sind auf Deeskalation aus und streben an, dass sich alle ruhig verhalten, um den Fahrbetrieb sicherzustellen. Da könnte im Zweifel eine homofeindliche Aussage auch mal ignoriert werden.
Einen Konflikt möglichst schnell «abzumoderieren» sei aber nicht das Ziel, sagt Martin Rudolph, der bei den VBZ für das Ereignismanagement zuständig ist: «Ich möchte, dass unsere Fahrgäste bei uns so sicher sind, wie es nur möglich ist.» Dies schliesse auch den Schutz vor Belästigungen mit ein.
Vorbild für weitere Regionen
Die Kampagne «Zürich schaut hin» hat mittlerweile Nachahmer gefunden. Ende April 2023 hat die Stadt Bern die Aktion «Bern schaut hin» lanciert. Dabei steht ebenfalls eine Plattform im Zentrum, über die Belästigungen im öffentlichen Raum gemeldet werden können.
Auch im Wallis gibt es eine vergleichbare Kampagne. Diese heisst «Geits no». Mit einem Online-Quiz können dort Männer testen, ob ihr Verhalten angemessen ist oder nicht.
Die Aktion «Zürich schaut hin» läuft auf unbestimmte Zeit. Verschiedene weitere Aktionen sind geplant. So startet eine Kampagne in den Badeanlagen der Stadt. Geplant ist ausserdem eine «Selbstbehauptungswoche» an den Schulen, eine Schulung für das Personal von Clubs und Bars sowie Zivilcourage-Kurse.