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Sicherheitsrisiko Smartphone Verräterische Standortdaten: eine Gefahr für Frauenhäuser

Standortdaten aus Handys können zum Risiko für Frauenhäuser und schutzsuchende Frauen werden. Die Leiterin des Frauenhauses St. Gallen erklärt, wie dieses Risiko abgeschwächt werden kann.

Viele von uns hinterlassen digitale Spuren. Unsere Smartphones senden standardmässig Daten in die Welt hinaus – und können einiges über uns und unser Leben verraten. Mithilfe von Standortdaten können zum Beispiel Menschen getrackt und ganze Bewegungsprofile erstellt werden. Solche Daten werden über Werbenetzwerke gesammelt, gefiltert und verkauft. Wenn sie in die falschen Hände geraten, kann es verheerende Folgen haben, wie SRF-Recherchen zeigten.

Silvia Vetsch macht das Sorgen. Sie leitet das Frauenhaus St. Gallen und die Semkyi Übergangswohnungen und hat tagtäglich mit Frauen zu tun, die Schutz suchen. Es sind Frauen, die Gewalt erleben, gestalkt und überwacht werden. Frauen, die zum Beispiel vor einem gewalttätigen Lebenspartner flüchten müssen: «Im Frauenhaus haben wir häufig sogenannte Hochrisikofälle. Unser Hauptthema ist es, Femizid zu verhindern.»

Getrackte Frauenhäuser

Frauenhäuser sind hochsensible Orte, deren Standort oftmals nicht bekannt ist: «Wenn unser Standort auffliegt, ist es möglich, dass plötzlich ein Gefährder, eine Gefährderin vor dem Haus steht. In so einem Fall alarmieren wir sofort die Polizei.»

Ich weiss von Fällen, wo Frauen, die sich in einem Frauenhaus aufhielten, aufgrund von Standortdaten getrackt werden konnten.
Autor: Silvia Vetsch Leiterin Frauenhaus St. Gallen

Hier könne auch das Smartphone zur Gefahrenquelle werden, sagt Silvia Vetsch gegenüber SRF: «Ich weiss von mehreren Fällen in der Schweiz, wo Frauen, die sich in einem Frauenhaus aufhielten, aufgrund von Standortdaten getrackt und verfolgt werden konnten.»

Wenn so etwas passiere, müssten die betroffene Frau und je nachdem auch ihre Kinder in ein anderes Frauenhaus verlegt werden, möglichst weit weg vom ursprünglichen Zufluchtsort. Vetsch macht klar, was das für betroffene Frauen bedeutet: «Eine Frau lässt mit dem Eintritt in ein Frauenhaus ein Stück weit ihr bisheriges Leben zurück. Wenn sie dann noch verlegt werden muss, ist das eine zusätzliche grosse Belastung.»

Nahaufnahme einer ausgestreckten Hand mit gespreizten Fingern.
Legende: Fast 2500 Frauen fanden 2023 Zuflucht und Schutz in einem Frauenhaus in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein. (Quelle: Dachorganisation Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein) Keystone; Fabian Sommer

Gleichzeitig solle ein Frauenhaus kein Gefängnis sein. Es sei wichtig, dass Frauen und Kinder sich einigermassen frei bewegen und das Frauenhaus auch mal verlassen können, ohne sich dabei in Gefahr zu begeben.

Eine Reihe von Massnahmen

Frauenhäuser wie jenes in St. Gallen haben mittlerweile eine ganze Reihe von Massnahmen in Bezug auf die Nutzung von Smartphones ergriffen. So würden etwa die Handys von Frauen, die Schutz suchen, bereits vor deren Eintritt ins Frauenhaus genau unter die Lupe genommen: «Wir erwähnen schon in der ersten telefonischen Beratung, dass Smartphones am besten gleich ganz ausgeschaltet werden sollten und alles deaktiviert wird, das etwas über den eigenen Standort verraten könnte.»

Man könne fast nicht genug für das Sicherheitsrisiko Smartphone sensibilisieren.

Frauenhäuser tauchen in gehackten Daten auf

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Anfang Jahr erpressten Hacker eine grosse US-amerikanische Datenhandelsfirma, indem sie einen Teil der gehackten Daten ins Netz stellten und Lösegeld forderten. SRF Data konnte das gehackte Datensample analysieren. Dabei wurde ersichtlich, dass die gehackte Firma «Gravy Analytics» hochsensible Daten unter anderem nach Frauenhäusern, Abtreibungskliniken oder Casinos filterte.

Es besteht die Möglichkeit, dass «Gravy Analytics» Daten zu Geräten in Frauenhäusern verkauft hat. Auf Anfrage von SRF Data dazu liess das Unternehmen Unacast, zu der Gravy Analytics gehört, verlauten, man würde nur kommerziell erhältliche Daten nutzen. Spezifische Fragen zur Nutzung von Daten aus Frauenhäusern liess das Unternehmen jedoch unbeantwortet.

Es fängt bereits damit an, wenn eine Frau im Netz nach der Webseite eines Frauenhauses sucht. Auf der Homepage vieler Frauenhäuser erscheint oft als Erstes eine Anleitung dazu, wie sich Spuren im Internet verwischen lassen. Die Empfehlungen reichen vom Surfen im Inkognito-Modus bis hin zum regelmässigen Löschen von Cookies. Es gilt zu verhindern, dass Menschen, die betroffenen Frauen schaden wollen, an die Informationen kommen, die den Frauen ein Untertauchen verunmöglicht. Ein nicht gelöschter Suchverlauf kann verheerend sein für eine gefährdete Frau.

SRF-Podcastserie: «Alles akzeptiert – die Cookiefalle»

Je nachdem würde man den Frauen das Handy noch vor dem Eintritt ins Frauenhaus abnehmen und sie mit einem Ersatzgerät versorgen. Zudem sei es wichtig, auch die Mitarbeitenden des Frauenhauses auf ihr Verhalten am Smartphone aufmerksam zu machen und ihnen nahezulegen, Social Media sehr zurückhaltend zu nutzen und alle Funktionen zu deaktivieren, die Auskunft über den eigenen Standort geben könnten.

Datenschutz: finanziell und technisch anspruchsvoll

Vetsch betont zudem, wie wichtig die enge Zusammenarbeit der Frauenhäuser mit der Polizei sei. Frauenhäuser in der Schweiz und in ganz Europa müssen aufgrund der Gefahr, die von Handydaten ausgehen kann, zunehmend geschützt werden. Laut Silvia Vetsch nicht nur eine finanzielle Frage, sondern auch technisch höchst anspruchsvoll: Mit allen Entwicklungen Schritt zu halten, sei nicht immer möglich. Eine besondere Herausforderung sieht sie zum Beispiel in versteckt installierten Tracking-Apps oder versteckten GPS-Sendern, die oft nur sehr schwer zu finden sind.

Frauenhäuser in der Schweiz

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In der Schweiz und in Liechtenstein gibt es insgesamt 22 Frauenhäuser und ein Mädchenhaus. Gemäss einer Medienmitteilung der Dachorganisation für Frauenhäuser vom Juni 2024 ist die Mehrheit der Schutzunterkünfte vollbelegt. Die Hälfte der Personen, die sich in Frauenhäusern aufhalten, sind Kinder.

Um die Sicherheit und die Anonymität von Frauenhäusern und Personen, die sich darin aufhalten, bestmöglich zu gewährleisten, sei derzeit eine Gruppe im Aufbau, die sich vermehrt um die digitale Sicherheit kümmern soll. Die Gruppe besteht aus Mitarbeitenden von Frauenhäusern aus der ganzen Schweiz, die Informationen zusammentragen und in einem engen Austausch miteinander stehen.

«Wir müssen ernst nehmen, dass das, was uns Smartphones und Apps ermöglichen, auch zur Gefahr werden kann», hält Silvia Vetsch fest. Es sei zentral, auf das eigene Verhalten zu achten – denn die grösste Sicherheitslücke sei nach wie vor der Mensch.

Radio SRF 4 News, 5.3.2025, 03:35 Uhr;stal

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