Die Fallzahlen steigen: Innerhalb einer Woche sind dem Bundesamt für Gesundheit BAG über 16'000 neue Corona-Fälle gemeldet worden. Zum Vergleich: In der Woche davor waren es noch rund 6000 weniger. Auch die Spitaleinweisungen nehmen wieder zu. SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel ordnet das Infektionsgeschehen ein – und sagt, ob es einen zweiten Booster braucht.
SRF News: Wie ist der Anstieg der Fallzahlen zu erklären?
Katrin Zöfel: Das ist der Effekt der Omikron-Variante BA5, darüber sind sich die Forschenden einig. BA5 war im Mai noch für ungefähr zehn Prozent der Ansteckungen verantwortlich, jetzt sind es sicher über 50 Prozent. Damit bestimmt diese Variante das Infektionsgeschehen. Nach bisheriger Datenlage ist BA5 nicht ansteckender als die vorherigen Varianten. Sie kann die Immunität aber besser umgehen. Gleichzeitig hat die Immunität in der Bevölkerung nachgelassen – auch das kann ein Faktor sein.
Wie überraschend ist der Anstieg der Fallzahlen im Sommer?
Nachdem BA5 und die sehr ähnliche BA4-Variante in Südafrika erstmals nachgewiesen wurden, gab es die Vermutung, dass es eine Sommerwelle geben könnte. Forschende hielten es für denkbar, dass der saisonale Effekt ausgehebelt werden könnte, wenn eine Variante die Immunität so stark umgeht. Das scheint nun einzutreten.
Was bedeutet es für die Long-Covid-Fälle, wenn die Fallzahlen wieder ansteigen?
Schweizer Experten schätzen nach Studienlage die Long-Covid-Häufigkeit auf 20 Prozent unter erwachsenen Infizierten. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Studienlage sehr heterogen ist. In der Mehrheit geht es um Fälle, die bei Infektion keine Immunität hatten. Dies, weil es eine Weile dauert, bis Long Covid überhaupt untersucht werden kann – es handelt sich ja um eine längerfristige Kondition. Deswegen stammen die Zahlen eher von Menschen, die bei der Infektion noch keine Immunität hatten.
Der Schutz vor einer Infektion ist nicht mehr besonders gut. Der Schutz vor schweren Verläufen und Tod, der über T-Zellen vermittelt wird, bleibt aber länger erhalten.
Wie sehr eine Impfung oder eine durchgemachte Infektion das Long-Covid-Risiko senken, ist offen. Einige Studien sprechen davon, dass dies das Risiko um die Hälfte reduzieren kann. Andere gehen vom Faktor zehn aus. Ziemlich sicher ist, dass das Long-Covid-Risiko nicht verschwindet. Steigen die Infektionen jetzt wieder an, wird das auch weitere Long-Covid-Fälle mit sich bringen.
Wie gut schützt die Impfung vor der neuen Variante?
Der Schutz vor einer Infektion ist nicht mehr besonders gut. Das zeichnet sich schon länger ab. Bereits bei der Delta-Variante im Herbst letzten Jahres hat man gesehen, dass diese den Immunschutz gut umgehen kann. Alle fünf Omikron-Varianten sind diesbezüglich noch einmal effektiver. Der Schutz vor schweren Verläufen und Tod, der über T-Zellen vermittelt wird, bleibt aber länger erhalten. Das zeigen die Zahlen aus verschiedenen Ländern, so etwa aus Portugal. Dort gibt es zwar eine messbare Übersterblichkeit – aber sie ist kein Vergleich zur zweiten Welle.
Braucht es einen weiteren Booster, weil BA5 den Immunschutz besser umgehen kann?
Das wird wohl so sein. Den Zeitpunkt dafür festzulegen, ist aber gar nicht so leicht. Lieber jetzt schnell, wie es zum Beispiel Deutschland für die Älteren empfiehlt? Oder erst später, kurz vor dem Herbst? Viele Fachleute rechnen damit, dass es im Herbst nochmal einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen und allenfalls auch eine neue Variante geben wird. Den zweiten Booster direkt vor diese Entwicklung zu setzen, kann Sinn ergeben. Andererseits sieht man an einigen Studien, dass der Schutz zumindest bei Älteren schon jetzt nachlässt.
Das Gespräch führte Nina Gygax.