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Sondersession des Nationalrats Organspende: Nationalrat will erweiterte Widerspruchslösung

  • Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies in Zukunft explizit festhalten müssen. Angehörige sollen aber eine Organspende ablehnen können.
  • Mit 150 zu 34 Stimmen bei 4 Enthaltungen stimmte der Nationalrat der erweiterten Widerspruchslösung als Erstrat zu. Kritik kam einzig von einem Teil der SVP-Fraktion.
  • Am Nachmittag berät er die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» im Detail.

Um ganz Grundsätzliches ging es im Nationalratssaal: «Es geht wortwörtlich um Leben und Tod», stellte der Grünliberale Jörg Mäder fest. 1500 Menschen warten in der Schweiz auf ein lebensverlängerndes Organ, darunter auch Kinder. Doch die Zahl der Organspenderinnen und -spender sinkt. Das habe mit der heutigen Regelung der Organspende zu tun, vermutet ein Komitee, das eine Volksinitiative eingereicht hat.

Mehrheit der Angehörigen sagt Nein zu Organspende

Im Todesfall darf man einem Menschen Organe nur dann entnehmen, wenn er zu Lebzeiten ausdrücklich Ja dazu gesagt und dies festgehalten hat. Ansonsten müssen die Angehörigen gefragt werden – und die sagen in 60 Prozent aller Fälle Nein.

Die Volksinitiative will deshalb von dieser «Zustimmungslösung» wegkommen und zu einer «Widerspruchslösung» wechseln. Will heissen: Grundsätzlich dürfen jedem Menschen Organe entnommen werden, wenn sich dieser nicht zu Lebzeiten ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat.

Das hat der Nationalrat beschlossen:

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Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies künftig explizit festhalten müssen. Angehörige sollen aber eine Organspende ablehnen können. Mit 150 zu 34 Stimmen bei 4 Enthaltungen stimmte der Nationalrat dem Gegenvorschlag in der Gesamtabstimmung zu.

Knapper war die Abstimmungsempfehlung zur Volksinitiative – falls sie denn überhaupt an die Urne käme. Mit 88 zu 87 Stimmen bei 14 Enthaltungen beantragt der Nationalrat, die Organspende-Initiative zur Annahme zu empfehlen.

Als Nächstes ist der Ständerat am Zug, der sich im Laufe des Jahres zur Vorlage und zur Initiative äussern wird.

Heute gilt in der Schweiz bei der Organspende die Zustimmungslösung: Eine Organspende kommt nur dann infrage, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Spende zugestimmt hat. Liegt keine Willensäusserung vor, müssen die Angehörigen entscheiden. (sda)

Für einmal gab es auch innerhalb der Parteien unterschiedlichste Meinungen, wie mit dem Thema umgegangen werden soll. Ganz klar und einheitlich abgelehnt wurde die Initiative nur von der Evangelischen Volkspartei EVP und der Eidgenössisch-Demokratischen Union EDU. EVP-Nationalrätin Marianne Streiff (BE) äusserte sich dazu: «Es kann doch nicht einfach das Schweigen als Zustimmung gerechnet werden. Stellen Sie sich mal vor, wenn das bei Volksabstimmungen gemacht würde.»

Auch SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal sprach sich gegen die Initiative aus. Bürgerinnen und Bürger sollten auch die Freiheit haben, sich mit dieser Thematik nicht zu befassen.

FDP-Nationalrat Kurt Fluri hingegen bekannte sich als klarer Unterstützer des Volksbegehrens: «Dass Organe von jemandem entnommen werden, der das möglicherweise nicht gewollt hätte, ist mir weniger wichtig als die grosse Möglichkeit, Leben zu erhalten und Leben zu retten.»

Die Initiative habe klare Nachteile, meinte wiederum SP-Nationalrätin Yvonne Feri: «Eine nicht geäusserte Zustimmung lässt Interpretationsspielraum offen und bewirkt Unsicherheit über den wirklichen Willen der verstorbenen Person.» Und deshalb sagte auch «Mitte»-Vertreter Christian Lohr, dass es ihrer Fraktion wichtig sei, dass ein Wille bekannt ist, der geschehen soll, bevor man ein Organ entnehme.

Bundesrat will Mittelweg

Der Bundesrat möchte deshalb einen Mittelweg begehen. Er ist grundsätzlich mit der «Widerspruchslösung» einverstanden, will aber die Angehörigen einbeziehen. Diese sogenannte «erweiterte Widerspruchslösung» hat der Bundesrat als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative formuliert.

Im Nationalrat gab es viele, die sowohl Initiative wie auch Gegenvorschlag unterstützen. Die Grünen gehörten dazu. Dies in der Hoffnung, dass die Initiantinnen und Initianten ihr Volksbegehren dann zurückziehen würden, was diese auch schon in Aussicht gestellt haben.

Die «Widerspruchslösung» entbinde aber niemanden davon, sich zu Lebzeiten mit der Frage der Organspende auseinanderzusetzen, betonte die Grüne Manuela Weichelt-Picard.

SRF 4 News, Info 3, 05.05.2021, 12:00 Uhr

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