Mit den stark steigenden Corona-Fallzahlen ist die epidemiologische Lage auch in der Schweiz kritisch – die wissenschaftliche Taskforce des Bundes warnt vor einer Überlastung der Spitäler und fordert Massnahmen wie Kontaktbeschränkungen. Ob der Bundesrat heute diesen Weg einschlägt, vermag auch Ruth Humbel, Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission (SGK) nicht zu sagen.
SRF News: Die Schweiz könnte in drei Wochen am gleichen Punkt sein wie derzeit Österreich – braucht es jetzt rasch weitere Massnahmen?
Ruth Humbel: Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass die derzeit geltenden Massnahmen eingehalten werden: konsequentes Maskentragen, Händewaschen und Aufrechterhaltung der regelmässigen Pooltests in Schulen und Firmen. Auch muss die Quarantäne von positiv getesteten Personen eingehalten werden. Kontakte sollten möglichst minimiert werden.
Sie setzen also auf das Prinzip der Eigenverantwortung?
Auch bei den letzten Infektionswellen hat man gesehen: Die verordneten Massnahmen sind das eine, wie sie eingehalten werden, ist das andere. Die Schweiz hatte stets ein liberaleres Regime als unsere Nachbarländer und wir sind nicht schlechter gefahren. Das heisst: Die meisten Leute halten sich an die Massnahmen.
Die Schweiz hatte stets ein liberaleres Regime als unsere Nachbarländer – und wir sind nicht schlechter gefahren.
Wichtig ist jetzt auch, dass sich jene, die noch nicht geimpft sind, es sich nochmals überlegen, dies doch noch zu tun. Ausserdem müssen die Booster-Impfungen vorangetrieben werden – zunächst bei den Älteren und den Menschen mit Vorerkrankungen.
Muss der Bundesrat heute also keine neuen Massnahmen beschliessen?
Er könnte sowieso bloss Massnahmen in die Vernehmlassung geben. Das könnte allenfalls eine verstärkte Zertifikatspflicht sein – doch da sind die Kantone primär in der Pflicht. Das betrifft in nächster Zeit vor allem anstehende Weihnachtsmärkte und Ähnliches, wo es zu nahen Kontakten kommen kann.
Österreich ist im Lockdown – droht auch der Schweiz ein solches Szenario?
Die Politik wird sicher mit allen Mitteln zu verhindern versuchen, dass wir in einen neuen Lockdown müssen. Zunächst bräuchte es allenfalls mildere Massnahmen. Allerdings kann man nicht genau abschätzen, wie vergleichbar die Situation in Österreich und der Schweiz ist: Die Schweiz hatte beispielsweise nie eine Ausgangssperre, trotzdem hatte Österreich höhere Infektionszahlen.
Auch gibt es Unterschiede bei den eingesetzten Impfstoffen: So hat die Schweiz mehr Impfstoff von Moderna verimpft als von Pfizer/Biontech, Österreich dagegen vor allem Pfizer/Biontech. Da gibt es Unterschiede bei der Dauer des Impfschutzes.
Es ist schwierig zu vertreten, dass Menschen mit schweren Erkrankungen zurückgestellt werden müssen, weil die Intensivstationen mit nicht-geimpften Covid-Patienten belegt sind.
Unsere Hoffnung ruht auch auf einem Medikament gegen Covid-19, das schon in den nächsten Wochen eine Entlastung in den Spitälern bringen könnte. Das wichtigste Kriterium ist dabei die Auslastung der Intensivstationen. Und hier ist es schwierig zu vertreten, dass Menschen mit schweren Erkrankungen zurückgestellt werden müssen, weil die Intensivstationen mit nicht-geimpften Covid-Patienten belegt sind.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.