An der gestrigen Medienkonferenz des Bundes warnte Virginie Masserey, Chefin der Sektion Infektionskontrolle im Bundesamt für Gesundheit, vor einer Totalauslastung der Intensivstationen: Wenn es so weitergehe, dann seien in fünf Tagen alle IPS-Betten belegt. Sie stützte sich dabei auf Prognosen des Koordinierten Sanitätsdienstes des Bundes, der die Belegung der Intensivbetten erfasst.
Gesundheitsminister widerspricht
Alain Berset, der oberste Chef von Masserey, zweifelt heute offen daran: «Ich glaube nicht, dass wir in fünf Tagen soweit sind, ehrlich gesagt.» Er ist der Ansicht, dass Kantone und Spitäler noch mehrere Möglichkeiten hätten, um eine Vollbelegung der Intensivstationen zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern.
Ich glaube nicht, dass wir in fünf Tagen soweit sind, ehrlich gesagt.
Privatspitäler einbeziehen
Zum einen brauche es eine bessere Koordination unter den Kantonen, hält der Bundesrat fest, denn nicht alle seien gleich stark von der Corona-Problematik betroffen. Zum anderen: «Die Kantone, die die Kapazitäten der Privatspitäler noch nicht angegangen sind, müssen es wirklich tun.»
Die Kantone, die die Kapazitäten der Privatspitäler noch nicht angegangen sind, müssen es wirklich tun.
Westschweiz als Vorbild bei Wahleingriffen
Gestern schickte Berset – zusammen mit dem Präsidenten der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren Lukas Engelberger, einen Brief an alle Kantone. Radio SRF liegt das Schreiben vor.
Darin heisst es: Die Westschweizer Kantone hätten Eingriffe, die nicht dringlich sind – sogenannte Wahleingriffe – weitgehend eingestellt und ambulante Behandlungen eingeschränkt. Das dürfe sich nicht auf diese Kantone beschränken.
«Was überhaupt nicht geht»
Nur knapp ein Drittel der Intensivplätze sei von Covid-Patienten belegt, rechnet Berset vor. Ein weiteres knappes Drittel der Betten sei frei. Und in mehr als einem Drittel würden Patienten liegen, die nicht an Corona erkrankt seien. Darunter solche mit nicht lebensnotwendigen Wahleingriffen:
«Was überhaupt nicht geht», so Berset, sei, mit all den Massnahmen und Konsequenzen für die Gesellschaft und dem Einsatz der Armee solche Wahleingriffe zu schützen.
Zuerst sollten Kantone auf nicht lebensnotwendige Eingriffe verzichten, betonte auch Verteidigungsministerin Viola Amherd. Die Armee sei zwar bereit, kantonale Spitäler mit bis zu 2500 Soldaten zu entlasten. Sie ergänzte: «Dazu gehört explizit, dass ein Kanton medizinisch nicht dringende Eingriffe verschiebt, bevor er Soldaten erhält.»
Spitalverband H+ will zuerst Geld sehen
Beim Spitalverband H+ reagiert man überrascht auf die kritischen Töne aus dem Bundesrat. Koordination unter den Kantonen sei sicher gut, sagt H+-Direktorin Anne-Geneviève Bütikofer. Aber bevor Spitäler auf Wahleingriffe verzichteten, müsse eine Regelung mit den Kantonen gefunden werden, wie die dadurch entstehenden Verluste gedeckt würden.
«Die Spitäler brauchen zur Bewältigung der Pandemie Geld, um funktionieren zu können. Wenn man den Spitäler verbietet, zu funktionieren, indem man die Betten nicht belegt, sondern nur reserviert, machen die Spitäler riesige zusätzliche Verluste zu den Verlusten vom Frühling und können auch keinen Beitrag zu Bewältigung der Pandemie leisten», so Bütikofer.
Wenn man den Spitäler verbietet, zu funktionieren, indem man die Betten nicht belegt, sondern nur reserviert, machen die Spitäler riesige zusätzliche Verluste.
Es brauche jetzt eine nationale Regelung für diese Situation. Auf die Frage, ob dafür die Zeit noch reiche, sagt die H+-Direktorin: «Die Versorgung der Patientinnen und Patienten muss natürlich jederzeit sichergestellt werden.»