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Steigende Maturitätsquoten Student oder Büezer? Das hängt auch vom Wohnort ab

Knapp 40 Prozent der jungen Menschen in der Schweiz haben Zugang zu den Hochschulen – sie haben einen Maturitätsabschluss. Die Maturitätsquote liegt damit laut Auswertungen des Bundesamtes für Statistik (BFS) so hoch wie noch nie. Erziehungswissenschaftler Franz Eberle erklärt die Hintergründe und sagt, wieso die Quote noch weiter steigen sollte.

Franz Eberle

Professor für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik

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Franz Eberle ist Professor am Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich, wo er am Lehrstuhl für Gymnasialpädagogik mit wirtschaftspädagogischem Schwerpunkt forscht.

SRF News: Die Maturitätsquote in der Schweiz steigt. Ist das nun gut oder schlecht?

Franz Eberle: Der vom BFS ausgewiesene Anstieg der Gesamtmaturitätsquote ist vor allem auf die Berufsmaturitäten (BM) und die Fachmaturitäten (FM) zurückzuführen. Das ist insgesamt kein Problem, sondern gut.

Berufsmaturitäten sollten zur Behebung des Fachkräftemangels gefördert werden.

Die gymnasiale Quote ist aus meiner Sicht in Ordnung, ein markanter Anstieg nicht wünschbar. Ein weiterer Anstieg bei den anderen Maturitäten, insbesondere bei der BM, hingegen ist sehr wünschenswert.

Das Aufnahmepotential an den Fachhochschulen ist also noch nicht ausgeschöpft?

Bei den Fach- und insbesondere den Berufsmaturitäten gibt es noch Luft nach oben. Es handelt sich um relativ junge Ausbildungsgänge. Besonders diese Maturitäten sollten zur Behebung des Fachkräftemangels gefördert werden.

Dagegen ermöglicht die im internationalen Vergleich mit rund 20 Prozent relativ tiefe gymnasiale Maturitätsquote weiterhin den prüfungs- und numerus-clausus-freien Zugang zu allen universitären Studien mit Ausnahme des Medizinstudiums. Dieser ist international einmalig. Eine gesteuerte Erhöhung der Maturitätsquote würde das Niveau und damit die Akzeptanz der Matura als allgemeine Zutrittsberechtigung senken.

Welches sind die Gründe für den generellen Anstieg der Maturitätsquote? Sind die Schüler alle klüger geworden oder die Anforderungen geringer?

Diese Frage stellt sich insbesondere beim hohen Anstieg der gymnasialen Maturitätsquote zwischen 1960-2000. Es ist aber nicht zwingend, dass die Anforderungen gesunken sind. Auch eine Veränderung bei der Zusammensetzung der Schülerschaft über die Zeit kann bei gleichbleibenden Aufnahmebedingungen zu einer Veränderung der Maturitätsquote führen, ohne dass sich das durchschnittliche Maturitätsniveau verändert.

Von welchen Veränderungen sprechen Sie?

Ich beschreibe drei solche Veränderungen über die Zeit: Erstens gibt es den Flynn-Effekt, wonach die Werte in IQ-Tests pro Jahrzehnt um drei Punkte wachsen. Dahinter stecken Veränderungen in der Förderung auf verschiedenen Ebenen.

Früher war die vermutete Ursache dafür die Verbesserung in der Ernährung, in der Gesundheitsversorgung. Heute sind es eher Verbesserungen im Schulsystem. Im Weiteren vermutet man, dass heute allgemein in einer komplexeren Welt die kognitiven Anforderungen gewachsen sind, was wieder entwicklungsfördernd ist. So könnten auch die Massenmedien zu mehr kognitiv förderlicher Auseinandersetzung mit dem Weltgeschehen geführt haben.

Zweitens ist die Tatsache nicht zu unterschätzen, dass früher in Landregionen viele geeignete Schülerinnen und Schüler aus wenig begütertem Elternhaus rein örtlich gar keinen Zugang zu Gymnasien hatten. Der Bau der Landmittelschulen hat hier neue Zugänge eröffnet.

Es gibt zwischen Kantonen teilweise eine Chancenungleichheit beim Zugang zum Gymnasium. Das finde ich ungerecht.

Ich zum Beispiel, in Flums aufgewachsen, hätte 1970 kaum das Gymnasium besuchen können, wenn nicht kurz zuvor die Kantonsschule Sargans gegründet worden wäre. Nicht weil mir die Fähigkeiten gefehlt hätten, sondern weil meine Eltern einen Schulbesuch im entfernten St.Gallen nicht hätten bezahlen können. Die Stipendienmöglichkeiten waren bescheiden. Aber auch weil man in meiner Familie eigentlich eine Lehre machte. Meine Lehrer mussten meine Eltern zuerst noch «schubsen».

Und drittens vermute ich allgemein, dass heute schon besser unterrichtet wird als früher. Insgesamt sind die Schülerinnen und Schüler seit den 60er-Jahren vermutlich schon «klüger» geworden. Empirisch nachweisen lässt sich das aber nicht.

Die Maturitätsquote variiert stark zwischen den Kantonen. Sollten jene mit einer hohen Maturitätsquote aktiv etwas gegen den Anstieg unternehmen?

Nein, das finde ich nicht grundsätzlich. Wichtig ist aber, dass die Kantone gleiche oder vergleichbare Anforderungen stellen.

Warum variiert die Quote so stark?

Die folgenden Faktoren beeinflussen die gymnasiale Maturitätsquote:

  • mögliche regionale Unterschiede in den Fähigkeitsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler, abhängig auch von der Bildungsnähe der Eltern
  • regional unterschiedliche Selektionsmechanismen und unterschiedliche Anforderungen im Gymnasium
  • regional unterschiedliche Gewichtung der Berufsbildung
  • Unterschiede in der Bildungskultur, sozioökonomische Faktoren
  • jährliche Schwankungen in weniger dicht besiedelten Gebieten

Je nach Kanton sind die Chancen auf eine Matura also unterschiedlich?

Ich gehe davon aus, dass sich die «Aufnahmestrenge» in etwa umgekehrt proportional zur Maturitätsquote verhält. Je höher die Maturitätsquote, desto tiefer die «Aufnahmestrenge». Das bedeutet, dass zum Beispiel Tessin, Genf und Basel eher milde aufnehmen, Glarus, St. Gallen und Schaffhausen hingegen eher streng.

Je höher die Maturitätsquote, desto tiefer die «Aufnahmestrenge».

Es gibt also zwischen Kantonen teilweise eine Chancenungleichheit beim Zugang zum Gymnasium. Ich finde dies deshalb problematisch, weil mit der Maturität der Zulassungsausweis für die Universitäten auf nationaler Ebene erworben wird. In Kantonen, die schliesslich auch eine höhere Maturitätsquote ausweisen, kommen die Jugendlichen leichter zu diesem Zulassungsausweis. Das finde ich ungerecht.

Das sagen die Kantone

44,7 Prozent – so viele Jugendliche machten gemäss dem BFS 2015 in den beiden Basel die Matura. Damit führen die Halbkantone die Rangliste der Deutschschweiz betreffend Maturitätsquote an. Am tiefsten ist die Quote in Uri. Eine Auswahl an Erklärungen der Verantwortlichen.

Basel-Stadt: «Im Stadtkanton Basel-Stadt ist der Anteil an Eltern mit einem akademischen Hintergrund ungleich höher», erklärt Erziehungsdirektor Conradin Cramer die hohe Maturitätsquote. Viele dieser Eltern würden den Gymnasialweg als eigentlichen Königsweg sehen und dabei «die Vorteile des dualen Weges in der Berufsbildung» verkennen. Aus Sicht des Kantons seien die Klassennotenschnitte im vergangenen Schuljahr tatsächlich zu hoch waren. Dem wolle man nun entgegenwirken.

Basel-Landschaft: «Die Fachmittelschule hat eine grosse Tradition im Raum Basel», erklärt der Dienststellenleiter Gymnasien Thomas Rätz die Spitzenposition. Dass die Anforderungen in seinem Kanton tiefer sind als in anderen, kann er sich nicht vorstellen. «Die sehr guten Erfolgsquoten auf der Tertiärstufe sprechen für sich.»

Uri: «Uri ist traditionell ein gewerblich-handwerklich ausgerichteter Kanton», erklärt Bildungsdirektor Beat Jörg die tiefste Maturitätsquote der Schweiz. Zum hohen Prestige handwerklicher Berufe komme, dass der Kanton einzig in Altdorf über eine Mittelschule verfügt. Je weiter eine Gemeinde vom Hauptort entfernt liege, desto tiefer sei die Maturaquote. Höhere Anforderungen als in anderen Kantonen verneint Jörg. Der Kanton wolle die Quote mindestens halten, um die Vielfalt des Ausbildungsangebots an der Kantonalen Mittelschule nicht zu gefährden.

Obwalden: Mit dem starken Gewerbe und einer guten Berufsbildung erklärt auch der Obwaldner Bildungsdirektor Franz Enderli die unterdurchschnittliche Maturitätsquote in seinem Kanton. «Wir haben eine gesunde Quote, welche für Obwalden optimal ist.» Der Kanton habe deshalb kein Interesse daran, diese zu steigern.

Thurgau: Mit der Attraktivität der Alternativen begründet die Thurgauer Erziehungsdirektorin Monika Knill die unterdurchschnittliche Maturitätsquote in ihrem Kanton. Es sei wichtig, die Quote nicht nur interkantonal zu vergleichen, sondern sie «mit Blick auf den entsprechenden Kanton und in Bezug auf das gesamte kantonale Bildungssystem zu beurteilen.»

Bern: Während die gymnasiale Maturitätsquote in den vergangenen Jahren stabil war, sei die Berufsmaturitätsquote in seinem Kanton ständig gesteigert worden, sagt der Vorsteher des Mittelschul- und Berufsbildungsamtes Theo Ninck. Insbesondere weil die Berufsbildung als sehr attraktiv erscheine. Auswirkungen auf die Entwicklung der Maturitätsquote hätten aber auch Faktoren wie die wirtschaftliche oder geografische Lage, sich wandelnde Trends bei den Jugendlichen oder Migrationsbewegungen.

Der Einfluss der Eltern

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Für das Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich ist klar: «Die handwerklichen Berufe haben tendenziell an Prestige verloren», heisst es auf Anfrage. Die Jugendlichen hätten teilweise falsche Vorstellungen betreffend dieser Berufe.

Allerdings auch die Eltern: «Deren Urteile (oder Vorurteile) über Berufe beruhen oftmals auf veralteten Tatsachen.» In Handwerksberufen beispielsweise kämen heute vielmals moderne technische und teils computergesteuerte Instrumente zum Einsatz und körperliche Tätigkeiten würden von Maschinen übernommen. «Es lohnt sich daher auch für Eltern, sich mit der Berufswelt von heute auseinander zu setzen.»

Denn in der Regel würden Eltern die Berufswahl ihrer Kinder sehr stark beeinflussen. Dabei sei das elterliche Engagement an sich sehr wünschenswert, so das Amt für Jugend und Berufsberatung. «Es fällt auf, dass zahlreiche Eltern darauf pochen, dass ihre Jugendlichen schulische Lösungen avisieren, obwohl der Weg über die Berufsbildung (in Kombination mit einer Berufsmaturität) erwiesenermassen auch zu Top-Karrieren führen kann – sofern es (den Eltern) darum gehen sollte.»

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