Seit Juli 2022 dürfen selbständig arbeitende Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ihre Leistungen direkt mit den Krankenkassen abrechnen. Die Tarife für diese Abrechnungen gelten aber nur provisorisch – sie müssen noch definitiv festgelegt werden. Hierbei zeichnet sich nun ein Streit ab: Die Krankenkassen wollen die Tarife senken, die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) will die Tarife mindestens beibehalten. SRF-Inlandredaktor Philipp Schrämmli ordnet ein, was das für Patientinnen und Patienten bedeutet.
Warum pochen die Krankenkassen auf eine Tarifsenkung?
Für eine Therapiestunde können Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten derzeit 155 Franken abrechnen. Das sei viel zu viel, findet der Krankenkassenverband Santésuisse. Und der Verband liefert Zahlen: Seit dem Modellwechsel seien Mehrkosten von über 350 Millionen Franken pro Jahr auf die Krankenkassen zugekommen. Vor allem wegen dieser Kostensteigerung fordert Santésuisse nun einen tieferen Tarif – von 140 Franken oder weniger.
Wie reagieren die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten?
Mit Unverständnis. Sie sagen, ohne die bisherigen Tarife könnten sie nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Florian Näf, Sprecher der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP), weist darauf hin, dass selbständig arbeitende Psychotherapeuten auch für zahlreiche administrative Kosten aufkommen müssen; die Miete der Praxis oder Aufwendungen für das Sekretariat. Mit tieferen Tarifen liessen sich diese Kosten nicht mehr stemmen.
Was könnte passieren, wenn die Tarife gesenkt werden?
Florian Näf von der FSP sagt: «Bei tieferen Tarifen könnten sich viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten veranlasst sehen, nicht mehr über die Grundversicherung, sondern nur noch privat abzurechnen.» Das hätte zur Folge, dass zahlreiche Praxen dann möglicherweise nur noch Patientinnen und Patienten aufnehmen würden, die ihre Rechnungen selber bezahlen – zu den von den Praxen festgelegten Tarifen.
Was könnte dies für die Patientinnen und Patienten bedeuten?
Schon heute herrscht ein Mangel an Psychotherapie-Angeboten, die Wartelisten sind lang. Sollte es künftig weniger Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten geben, welche über die Grundversicherung abrechnen, würde dies vor allem ärmere Bevölkerungsschichten treffen. Für jene, die keine Zusatzversicherung haben und sich eine private Therapie nicht leisten können, dürfte es noch schwieriger werden, einen Therapieplatz zu finden.
Wer entscheidet über die Festlegung der Tarife?
Bis eine nationale Einigung vorliegt, entscheiden die Kantone über die Höhe der provisorischen Tarife. Der Kanton Glarus hat nun diese Woche bekanntgegeben, dass er als erster Kanton eine Tarifsenkung auf 140 Franken vornimmt. Basel-Stadt und Aargau haben derweil entschieden, weiterhin am Tarif von 155 Franken festzuhalten. Die Entscheidung von acht weiteren Kantonen wird bis Ende Jahr erwartet.
Warum gibt es in der Schweiz einen Mangel an Therapieplätzen?
Schon seit längerem gibt es in der Schweiz zu wenig Psychiater und Psychotherapeutinnen im Verhältnis zur Anzahl Patienten. Parallel dazu ist die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren stetig gestiegen. Auffällig ist dieser Anstieg vor allem bei jungen Personen, insbesondere jungen Frauen. Gemäss Bundesamt für Statistik sind in der Schweiz rund 18 Prozent der Bevölkerung mittel bis stark durch psychische Probleme belastet.