Sie sind beide Historiker und haben sich intensiv mit der P-26 beschäftigt, doch sie zeichnen ein sehr unterschiedliches Bild von der geheimen Widerstandsorganisation: Da ist auf der einen Seite Titus Meier, FDP-Politiker aus dem Aargau, Offizier im Generalstab und Autor des neuen Buches «Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall». Auf der anderen Seite steht der linke Historiker Josef Lang, GSoA-Mitglied und alt Nationalrat der Grünen.
Ein spätes Plädoyer auf 600 Seiten
In seinem neuen Buch zeichnet der 37-jährige Meier die Geschichte der P-26 genau nach – gestützt auf Akten aus der Bundesverwaltung und auf viele Gespräche mit ehemaligen P-26-Mitgliedern. Nach fast 600 Seiten kommt Meier zur Einschätzung: «Das waren legitime Vorbereitungen im Zeitalter des Kalten Krieges.»
Die rund 400 Schweizerinnen und Schweizer mit Durchschnittsalter um die 50, die für die Geheimorganisation rekrutiert worden waren, seien anständige Bürger gewesen, sagt Meier: «Es waren keine Menschen, die sich irgendwie in den Vordergrund gedrängt, aber überall mit viel Bürgersinn für die Gesellschaft eingesetzt haben.»
Meier: Keine Waffen und kein Sprengstoff
Organisiert war die Widerstandsorganisation nicht zentral, sondern in 80 unabhängigen Zellen, die nur lose miteinander verknüpft waren. Jedes Jahr wurden die Mitglieder zu viertägigen Kursen aufgeboten, wo sie lernten, wie man unbemerkt Nachrichten übermittelt, wie man Beschatter abschüttelt, aber auch wie man Waffen bedient und Sabotageakte ausführt.
Spezielle Waffen zu Hause hatten die P-26-Mitglieder aber keine. Die Waffen, darunter einige hundert Maschinenpistolen, lagen in gesicherten Verstecken. Für Historiker Meier ist demnach klar: Eine Gefahr für den Staat ging von der P-26 auf jeden Fall keine aus: «Das war nicht gefährlich. Die Menschen hatten ja auch keine Waffen und keinen Sprengstoff. Sie kannten sich in der Regel auch nicht und hätten sich auch nicht zu grösseren Gruppen zusammenschliessen können. Von daher ist die Gefährlichkeit ganz klar zu verneinen.»
Lang: Keine Kontrolle, die den Namen verdient
Meier rückt das Projekt 26 also in ein positives Licht. Auch wenn er zugibt, dass es eine bessere parlamentarische Aufsicht gebraucht hätte. Im Grundsatz sehr kritisch ist dagegen der linke Historiker Josef Lang. Sein Urteil: «Es war richtig, die P-26 aufzulösen. Auch weil es falsch war, sie überhaupt zu gründen.»
Für Lang war insbesondere problematisch, wie unbeaufsichtigt und autonom die Organisation gewesen sei: «Sie war völlig losgelöst von den zivilen Behörden. Es gab keine gesetzliche Grundlage und auch keine parlamentarische Kontrolle, die diesen Namen verdient.»
Es war richtig, die P-26 aufzulösen. Auch weil es falsch war, sie überhaupt zu gründen.
Meier kommt zur Einschätzung, die P-26 sei ungefährlich gewesen, weil sie nicht zentral organisiert war und weil die Mitglieder keine Waffen zu Hause hatten. Lang teilt diese Einschätzung nicht: «Autonome Zellen sind gefährlicher als ein grosser, geschlossener Körper.» Denn autonome Zellen könnten sich unter Umständen selber aktivieren.
Lang: Kampf gegen Osten und gegen Linke
Und gerade in diesem Aspekt sieht der linke Historiker das Hauptproblem der P-26: Die geheime Organisation entstand im Klima des Kalten Krieges. Und dieses Klima sei damals in der Schweiz wie überall im Westen stark vom Antikommunismus geprägt gewesen: «Damals waren für die Bürgerlichen der Kampf gegen den Osten und der Kampf gegen die Linke in der Schweiz eine gemeinsame Sache.»
Der 64-jährige Historiker geht sogar noch einen Schritt weiter: Er hätte sich sogar vorstellen können, dass sich die Aktivitäten der P-26 nicht nur gegen einen äusseren Feind, sondern auch gegen politisch Andersdenkende im Inland hätten richten können.
Faire Behandlung oder Verharmlosung?
Buchautor Meier lehnt diese These entschieden ab: Die Führung der P-26 habe versucht, gerade auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter in die Organisation einzubinden. Für Lang ist das jedoch eine Verharmlosung des wahren Charakters der P-26. Meier geht es hingegen darum, die umstrittene Organisation in ein faires Licht zu rücken.
Letztlich lässt sich die Frage, wie gefährlich die geheime P-26 war, nicht endgültig klären, weil sie nie in Aktion getreten war und 1990 vom Bundesrat aufgelöst wurde. Die aktuelle Diskussion zeigt auf jeden Fall, dass der Streit um die Deutungshoheit auch 30 Jahre nach der Auflösung der Geheimorganisation noch immer von der jeweiligen Ideologie geprägt ist.