Tom Riklin steht vor einer Migros-Filiale in Basel und bittet Passanten um eine Spende. Der 53-jährige gebürtige Aargauer bettelt bereits seit Jahren. Nun kann er seinem Haupterwerb in Basel seit dem 1. Juli legal nachgehen.
«Eigentlich hat sich nicht viel geändert», sagt Tom. Auch mit Bettelverbot konnte er auf der Strasse um Almosen bitten. Von der Polizei blieb er unbehelligt.
Tom bekommt von der Sozialhilfe monatlich 700 Franken. Eine Wohnung hat er nicht. «Ich habe ein paar Orte, wo ich schlafe. Wichtig ist, dass ich ein Dach über dem Kopf habe», sagt er. Momentan schläft er in einem Gebäude einer Kirchengemeinde. Der Abwart macht ihm ab und zu Kaffee und es gibt gratis Strom und Internet.
Ein Beruf wie jeder andere?
Mit dem Betteln verdient Tom rund tausend Franken pro Monat. Er profitiert von einer Stammkundschaft. «Viele geben mir regelmässig etwas», freut er sich. Betteln, das sei seine «Haupttätigkeit». Für Tom ist das Erbitten von Almosen ein Beruf.
Wie ist er zu diesem «Beruf» gekommen? Nach einer Lehre als Kunststoff-Technologe rutschte er in die Drogen. Er bezeichnet sich heute als «polytox». Heisst: «Ich nehme von allem ein bisschen, aber ich habe mein Mass gefunden.» Mittlerweile würde Tom mit den Drogen gerne aufhören, aber mit dem Betteln aufzuhören, das werde schwierig. Mit 40 Jahren habe er versucht, sich für ein paar Stellen zu bewerben. Aber es habe nicht geklappt.
Dass das Bettelverbot in Basel jetzt aufgehoben wurde, findet Tom eigentlich eine gute Sache. «Wenn ich fürs Überleben um eine Spende bitte, so ist das nicht ganz fair, wenn ich dafür eine Busse bekomme», so der langjährige Bettler.
Doch eine unerwünschte Konsequenz hatte die Aufhebung des Verbots für ihn schon. «Wir haben einfach mehr Konkurrenz erhalten», so Tom. Mit Konkurrenz meint er vor allem die Roma-Clans, welche seit diesem Sommer vermehrt in Basel am Betteln sind. Er begreife, dass sich die Gewerbetreibenden und ein Teil der Passanten über diese neuen Bettler ärgerten. Ihr Bettelstil sei aggressiv. Das komme in Basel gar nicht gut an.
Basel ging mit dem Bettelverbot sehr pragmatisch um.
Allerdings hat Basel das Bettelverbot nicht ganz aufgehoben. Bandenmässiges Betteln bleibt verboten. So kontrolliert die Basler Kantonspolizei auch solche Bettler, die im Verdacht stehen einer Bande anzugehören. Aber dies nachzuweisen sei schwierig, sagt der Basler Justiz- und Sicherheitsvorsteher Baschi Dürr. Man habe bereits 20 Verzeigungen bei der Staatsanwaltschaft eingereicht. Nun sei es am Gericht zu entscheiden, was damit passiere.
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Dürr warnte denn auch im Vorfeld der Volksabstimmung vergeblich vor dem Aufheben des Bettelverbotes. «Wir gingen mit dem allgemeinen Bettelverbot sehr pragmatisch vor.» Die Polizei habe nie Bettlerschwerpunktkontrollen durchgeführt. Aber man habe eine einfache Handhabe gehabt, wenn das Betteln gestört habe.
Mittlerweile diskutiert auch das Basler Parlament darüber, das Bettelverbot wieder einzuführen. Ein entsprechender Vorstoss der SVP wird im November behandelt – nach den Basler Wahlen. Michel Steiner vom «Schwarzen Peter», einem Verein für Gassenarbeit in Basel, vermutet denn auch, dass das Thema Betteln vor allem wegen des Wahlkampfes so hohe Wellen wirft.
Zweigeteilte Schweiz
Wie sieht es ausserhalb von Basel aus? In 14 Kantonen gilt ein generelles Bettelverbot (siehe Karte). Besonders streng ist der Kanton Zürich. Dort gilt ein kantonsweites Bettelverbot. Wer trotzdem bettelt, wird gebüsst. Laut Stadtpolizei Zürich wurden im letzten Jahr 745 Verzeigungen wegen Bettlerei ausgestellt. Zudem wird das erbettelte Geld eingezogen.
Trotzdem ist Tom gut auf Zürich zu sprechen: «Ich bin selten dort. Manchmal auf der Bahnhofsstrasse. Es ist schon nicht schlecht, was man von den Passanten bekommt.»
In zwölf Kantonen – darunter neu Basel-Stadt – ist Betteln mit Ausnahmen erlaubt. In Bern beispielsweise werden Bettler welche im Verdacht stehen, bandenmässig vorzugehen, von der Polizei konsequent kontrolliert und befragt. Da es sich dabei meist um Personen aus osteuropäischen Staaten handle, verweise man die Bettler an die jeweiligen Botschaften, damit sie dort Hilfe beantragen könnten, heisst es bei der Berner Fremdenpolizei. Das sogenannte «Berner Modell» ist erfolgreich. Bettlerbanden meiden seither Bern.
Auch wenn Betteln in Bern grundsätzlich erlaubt ist, rät Tom von der Stadt ab. «Die Berner sind knausrig», so sein klares Fazit. Ein möglicher Grund dafür ist, dass die Berner Behörden Passanten davon abraten, Bettlern Geld zu geben. Durch die Sozialhilfe und wohltätige Organisationen hätten alle Menschen genug Geld, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.
Eine schwierige Frage ist, ob generelle Bettelverbote in einem liberalen Rechtsstaat überhaupt rechtmässig sind. Das Bundesgericht hat dies jüngst mit Ja beantwortet und eine Beschwerde gegen das Bettelverbot im Kanton Waadt abgewiesen.
In seinem Urteil hält das oberste Schweizer Gericht fest, dass ein Bettelverbot der Wahrung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit diene und höher zu gewichten seien, als die durch das Verbot verbundenen Einschränkungen der persönlichen Freiheit und der Wirtschaftsfreiheit. Für das Bundesgericht sind Bettelverbote auch nicht diskriminierend, da es sich gegen alle Bettler richte und nicht nur gegen eine bestimmte Gemeinschaft.
Der Zürcher Rechtsprofessor Daniel Moeckli ist anderer Meinung und kann die Argumentation des Bundesgerichts nicht nachvollziehen. Er sagt: «Passanten vor unangenehmen Begegnungen im öffentlichen Raum zu schützen, lässt sich mit einem liberalen Rechtsstaat nicht vereinbaren».
Schweizer Bettelverbot ein Fall für Strassburg
Moeckli begrüsst es deshalb, dass sich in absehbarer Zeit, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dem Schweizer Bettelverbot befasst. Eine entsprechende Beschwerde nach der Einführung des Waadtländer Bettelverbotes ist nämlich in Strassburg hängig. Moeckli geht davon aus, dass der EGMR die generellen Bettelverbote, wie sie in mehreren Schweizer Kantone gelten, als Verstoss gegen die Menschenrechte taxieren würde. Wann das Gericht entscheiden wird, ist offen.
Offen bleibt auch die Frage, warum man sich in der Schweiz mit dem Betteln so schwer tut. Der Blick ins Ausland zeigt (siehe Box), dass die Schweiz strenger mit dem Thema umgeht, als die Nachbarländer.
Bettler Tom überlegt sich derweil, seinen Lebensunterhalt vermehrt mit «Dienstleistungen» statt nur mit Betteln zu bestreiten. Er habe sich überlegt, T-Shirts zu drucken und zu verkaufen, Kurierdienste anzubieten oder Gartenarbeit anbieten. Ganz aufhören mit Betteln wolle er aber nicht.n«Irgendwie muss ich das einfach machen, denn ich erhalte von den Leuten auch immer gutes Feedback», sagt Tom und lächelt verschmitzt.