Die Verhandlungen zu einem neuen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU haben offiziell begonnen: Bundespräsidentin Viola Amherd und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben sich in Brüssel getroffen. Die Stimmung war – zumindest vor den Kulissen – verhalten optimistisch, wie SRF-EU-Korrespondent Andreas Reich konstatiert. Doch hinter den Kulissen erinnert man an die «ernüchternden Erfahrungen mit der Schweiz». Letztere will für sich Ausnahmen, die EU pocht auf gleiche Regeln innerhalb des Binnenmarktes.
Nachdem die Beziehungen zur Europäischen Union vor drei Jahren mit dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen durch die Schweiz ihren Tiefpunkt erreicht haben, soll es nun schnell gehen: Bis im kommenden Herbst wollen der Bundesrat und die EU-Kommission unterzeichnen. Aber: Es gibt noch strittige Punkte – es sind die altbekannten.
1. Personenfreizügigkeit
- Lohnschutz bzw. Verhinderung von Lohndumping: Die Schweiz und die EU haben sich in den Sondierungsgesprächen in Sachen Lohnschutz teilweise angenähert. So soll die Voranmeldefrist von 8 auf 4 Tage reduziert werden. Auch wird eine Kaution nur noch verlangt, wenn in der Vergangenheit Verletzungen der Lohnbedingungen geschehen sind. Schliesslich sorgt die sogenannte Nicht-Regressions-Klausel dafür, dass die Schweiz künftige Verschlechterungen beim Lohnschutz in der EU nicht übernehmen muss.
Aber es bleiben strittige Punkte. So die Spesenregelung. Hierbei geht es um die Frage, wie viel Entschädigung ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, zum Beispiel für ein Mittagessen, erhält – so viel wie in den Herkunftsländern der Arbeitenden geregelt oder so viel wie in der Schweiz? Der Bundesrat will hier den Grundsatz «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» garantieren. Doch dies widerspricht dem EU-Recht. - Zuwanderung: Die Schweiz will eine jährliche Obergrenze – die EU pocht auf die Personenfreizügigkeit. Auch die Unionsbürgerlinie soll für die Schweiz nur beschränkte Gültigkeit haben. Einwanderer aus der EU müssen eine Arbeit haben, um nach fünf Jahren ein unbeschränktes Bleiberecht zu erhalten – auch wenn sie Sozialhilfe benötigen.
2. Streitbeilegung
Bei einem Streitfall zwischen der EU und Schweiz soll künftig ein politischer Ausschuss bzw. Schiedsgericht eine Lösung suchen. Handelt es sich bei dem Streitfall um die Auslegung von EU-Recht, soll der Europäische Gerichtshof (EuGH) beigezogen werden. Dessen Auslegung wäre für die Streitbehebung verbindlich.
3. Neues Stromabkommen
Ziel des Bundesrates ist eine Art Teilliberalisierung, die es den Endkonsumentinnen und -konsumenten ermöglicht, selbst zu entscheiden, wo sie den Strom kaufen wollen: in der regulierten Grundversorgung oder am freien Markt. Die EU will eine vollständige Öffnung des Strommarktes.
Eines ist klar: Auch wenn das Ziel erreicht wird, dass ein neues Abkommen im Herbst von beiden Seiten unterzeichnet wird, ist dieses nicht in trockenen Tüchern. Denn: Zu «kämpfen» hat der Bundesrat nicht nur mit den Verhandlungsführenden innerhalb der EU, sondern auch mit den verschiedenen Interessen im Inland. Und diese gehen weit auseinander.
Und: Das letzte Wort wird mit grosser Wahrscheinlichkeit die Schweizer Stimmbevölkerung haben.