In Lausanne nennt man sie «die guten Engel des Pont Bessières» – jene 40 Freiwilligen, die vor Weihnachten bis ins neue Jahr rund um die Uhr dafür schauen, dass sich niemand von der Brücke stürzt.
Der Pont Bessières ist eine 160 Meter lange und 23 hohe Brücke mitten in der Stadt. An diesem Ort haben sich Menschen immer wieder das Leben genommen. Auch an Weihnachten 1980, als Joël, ein junger Lausanner, beobachtete, wie ein Mann über das Brückengeländer kletterte und in den Tod stürzte.
Es war das schönste Weihnachtsgeschenk meines Lebens, an Heiligabend den Vater von sechs Kindern gerettet zu haben.
Dieses Erlebnis und die Schuldgefühle, dass er den Mann nicht zurückhalten konnte, beschäftigten Joël so sehr, dass er die Aktion Solidaritätsfeuer gründete, das «Feu de la Solidarité». Im Folgejahr sassen Joël und weitere Freiwillige von Weihnachten bis nach Neujahr abwechslungsweise rund um die Uhr auf der Brücke. Vor einem wärmenden Feuer in einer Eisenschale, Suppe schlürfend und Tee trinkend, wachten sie, dass sich niemand in die Tiefe stürzte.
Wiederholt Menschen gerettet
Das «Feu de la Solidarité» ist zu einer wichtigen und bekannten Lausanner Institution geworden. Herbert Stock ist heute ihr Leiter. Stock und andere Freiwillige konnten in den letzten Jahren immer wieder Menschen retten, zuletzt am 24. Dezember 2021.
«Es war das schönste Weihnachtsgeschenk meines Lebens, an Heiligabend den Vater von sechs Kindern gerettet zu haben», sagt Stock. Er erinnert sich noch genau an den Moment. Der Mann sei gekommen und wieder gegangen. Man habe gesehen, dass er sich schon in einer anderen Welt befand, sagt Stock. So sei man auf ihn aufmerksam geworden und habe gesehen, dass er versuchte, dass Brückengeländer zu erklimmen. Man habe ihn zurückhalten müssen. Aber selbst zu zweit sei das schwierig gewesen. Dann habe man Spezialisten zur Hilfe gerufen.
Das Feuer brennt
Am Abend des 23. Dezembers hat Herbert Stock das Solidaritätsfeuer auf dem Pont Bessières wieder entzündet und wird es bis am 3. Januar brennen lassen. Die Gruppe umfasst rund 40 Freiwillige, die versuchen neutral Hilfe zu leisten, sagt Stock. Von der Coiffeuse über die Pflegefachfrau bis zum Psychologen.
Es gehe darum, verzweifelten Menschen Wärme zu geben und sie, wenn nötig, Fachpersonen zu übergeben. Die Lausannerinnen und Lausanner sind Herbert Stock und den Freiwilligen rund um das Solidaritätsfeuer dankbar.
Das sei eine gute Aktion, es habe auf dem Pont Bessières schon lange keinen Suizidfall mehr gegeben, sagt eine Passantin. Die Helfer seien sehr bekannt, sagt eine andere Frau. Sie seien seit Jahren für andere da, würden Momente der Trauer und der Freude teilen und hätten ein offenes Ohr. Die Stadt Lausanne schläft über die Festtage besser, seitdem auf dem Pont Bessières Tag und Nacht das Solidaritätsfeuer brennt.