Noch ist die Strommangellage nur ein Szenario. Doch Vorsicht ist besser als Nachsicht, sagt bekanntlich das Sprichwort. Der Bundesrat hat am Mittwoch einen detaillierten Eskalationsplan für den Fall eines akuten Strommangels entworfen. Das oberste Ziel: einen Blackout zu verhindern. Noch vor einem Netzzusammenbruch sind gebietsweise vierstündige Stromabschaltungen vorgesehen. Was das bedeuten könnte, erklärt ETH-Experte Christian Schaffner.
SRF News: Für wie wahrscheinlich halten Sie das Szenario von partiellen Netzabschaltungen?
Christian Schaffner: Man kann im Moment sagen, dass die Lage nicht mehr ganz so eng ist wie auch schon. Das hängt damit zusammen, dass europaweit die Gasspeicher tatsächlich sehr gut gefüllt sind. Das gilt auch für die Wasserspeicher in der Schweiz.
Wir waren noch nie so nahe an einer kritischen Lage wie heute
Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass wir noch nie so nahe an einer kritischen Lage waren wie heute. Auf der einen Seite haben wir die Kernkraft in Frankreich, die europaweit eine zentrale Rolle spielt. Falls diese Kernkraftwerke wie geplant in den nächsten Wochen wieder ans Netz gehen, dann sieht es nicht so schlecht aus. Wenn es dort aber Verzögerungen gibt oder zusätzliche Gaspipelines unterbrochen werden, dann kann es schneller wieder problematisch werden.
Der Bundesrat spricht von einzelnen Gebieten, die abwechselnd für vier Stunden abgeschaltet werden sollen. Wie muss man sich das vorstellen?
Es gibt aktuell konkrete Beispiele. In Südafrika etwa ist im Moment zu wenig Energie im System, unter anderem, weil die Ölpreise so hoch sind. In gewissen Quartieren wird dort für vier oder mehr Stunden abgeschaltet. Die Bevölkerung weiss jeweils im Voraus, dass am nächsten Tag während einer gewissen Zeitspanne der Strom ausfällt. Ein weiteres reales und tragisches Beispiel ist derzeit Kiew, wo Netzabschaltungen an der Tagesordnung sind.
Welche Bereiche des täglichen Lebens wären von Netzabschaltungen besonders betroffen?
Die einfache Antwort: Alles wäre betroffen, denn praktisch alles braucht Strom. Das Licht ist aus, Backen oder Kochen mit Strom geht nicht mehr, der Telefonanschluss funktioniert nicht mehr, mit dem Lift kann man nicht mehr fahren. Auch der Mobilfunk im betroffenen Gebiet funktioniert nach einer Stunde nicht mehr, weil die Mobilfunkmasten nur eine beschränkte Batteriekapazität haben. Die Signalisation im Verkehr ist ausgefallen, und auch der öffentliche Verkehr dürfte in Mitleidenschaft gezogen werden. Dieselbusse und Elektrobusse würden wohl noch eine gewisse Zeit fahren.
Das ist keine abschliessende Aufzählung, aber viel wichtiger ist wohl, dass auch die lokalen Heizungen nicht mehr funktionieren. Neben den Elektroheizungen wie Wärmepumpen sind auch Öl- und Gasheizungen elektrisch gesteuert. Die einzige Ausnahme sind wohl Holzcheminées oder Holzöfen, die man manuell befeuern muss.
Der Bund plant, die kritische Infrastruktur von Netzabschaltungen auszunehmen, sofern das technisch möglich ist. Ist es denn technisch möglich?
Das kommt sehr darauf an, wie das lokale Netz ausgebildet ist. Aus meiner Erfahrung ist das technisch in den meisten Fällen nicht ganz so einfach möglich. Diese Organisationen brauchen eine eigene Anschlussleitung mit einem separaten Transformator, der den Storm liefert. Anders funktioniert das nicht. Typischerweise sind wir etwa in einer Stadt in einen Netzbereich eingebunden. So wird etwa ein ganzes Quartier von einem Transformator gespiesen. Wenn sie dieses Stadtgebiet abschalten, dann hat auch die Organisation keinen Strom mehr.
In der Verordnung steht jedoch auch, dass es denkbar ist, dass solche Gebiete von den Abschaltungen ausgenommen werden. Jene Verbraucher, die nicht zur kritischen Infrastruktur gehören, wären aber trotzdem angehalten, keinen Strom zu beziehen. Wie genau dies in der Praxis laufen soll, wird man sehen.
Das Gespräch führte Sabina Hübner.