Nach dem Nationalrat hat heute auch der Ständerat beschlossen, dass es für Raserinnen und Raser mildere Strafen geben soll. Willi Wismer von der Stiftung Road Cross sieht die Lockerungen im sogenannten Raserartikel kritisch.
SRF News: Warum sind Sie gegen die vorgeschlagenen Lockerungen im Raserartikel?
Willi Wismer: Die Bevölkerung steht hinter dem Raserartikel, das haben wir in einer Umfrage festgestellt. Von dem her ist nicht nachvollziehbar, warum man ihn lockern sollte. Und die Beispiele, die angeführt werden, sind an den Haaren herbeigezogen.
Die Gerichte sollen Ermessensspielraum bei der Festlegung der Strafen bekommen. Ist Ermessensspielraum nicht per se eine gute Sache?
Dieser Ermessensspielraum besteht bereits. Beim Raserartikel muss der Vorsatz nachgewiesen sein. Wenn der Vorsatz nicht besteht, muss nicht nach dem Raserartikel geurteilt werden.
Nationalrat Matthias Bregy brachte das Beispiel von einem Mann, der seine Frau, die in den Wehen liege, zu schnell ins Spital fahre. Er dürfe nicht gleich hart bestraft werde wie jemand, der mit einem getunten Auto Rennen fahre. Sehen Sie den Unterschied nicht?
Dieses Beispiel ist an den Haaren herbeigezogen. Wer fährt mit 100 km/h und mehr durch einen Innerortsbereich? Denn erst damit wäre der Tatbestand der Raserei erfüllt. Abgesehen davon: Wo nimmt dieser Mann im Beispiel die Kompetenz her?
Das Beispiel mit den Wehen ist an den Haaren herbeigezogen: Der werdene Vater hat weder Blaulicht noch ein Horn und will mit massiv übersetzter Geschwindigkeit durch eine Ortschaft rasen?
Er hat weder Blaulicht noch ein Horn und will mit massiv übersetzter Geschwindigkeit durch eine Ortschaft rasen? Ausserorts müssten es 140 km/h sein. Nein, das passiert nicht einfach so.
Was stört Sie mehr bei diesen Lockerungen, dass diese Mindestfreiheitsstrafe abgeschafft werden soll, oder dass man den Fahrausweis schneller wieder zurückbekommen kann?
Es ist beides. Am Schluss wird ein Raser fast gleich behandelt, wie wenn man zufälligerweise zu schnell gefahren ist. Mit «zufälligerweise» meine ich, dass man mal eine Tafel übersieht. Das kann passieren.
Wir können es uns nicht erklären: 17 Menschenleben werden gerettet. Nun ändert man etwas, aber das mit den Menschenleben bleibt, wie es ist?
Das Bundesamt für Strassen ist 2016 in einer Auswertung zum Schluss gekommen, dass der Raserartikel rund 17 Menschenleben pro Jahr rette. Der Bundesrat sagt nun, dass sich das mit einer kürzeren Mindestfreiheitsstrafe nicht ändern würde. Warum kommen Sie zu einem anderen Schluss?
Wir können es uns nicht erklären: 17 Menschenleben werden gerettet. Nun ändert man etwas, aber das mit den Menschenleben bleibt, wie es ist? Wir sind klar der Ansicht, das Gesetz habe eine abschreckende Wirkung. Für notorische Schnellfahrer hat es wohl keine Wirkung, das sind wir uns bewusst, denn die kann man vermutlich nicht abschrecken.
Mit der Gesetzesänderung könnte man wieder bis zum Bundesgericht gehen, um sich bestätigen zu lassen, dass es nicht böswillig und nicht vorsätzlich war.
Aber für jemanden, der plauschmässig zu schnell fährt, hat es eine abschreckende Wirkung. Diese Person sagt sich, dass sich das für sie nicht lohnt; er oder sie will weder ins Gefängnis noch für zwei Jahre das Billett abgeben.
Das Gegenargument ist, dass die Höchststrafe von vier Jahren Freiheitsentzug bestehen bliebe und der Fahrausweisentzug doch noch immerhin ein Jahr dauern würde. Hätte das nicht auch eine abschreckende Wirkung?
Ja, aber es gibt wieder Spielraum für Juristerei. Man könnte wieder bis zum Bundesgericht gehen, um sich bestätigen zu lassen, dass es nicht böswillig und nicht vorsätzlich war. Diese Möglichkeit besteht heute nicht, weil bereits klar ist, wie hoch die Mindeststrafe ist. Mit einer Abschwächung wäre dies nicht mehr gegeben.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.