Früher hat man die Menschen einfach befragt, wie stark sie sich durch Lärm belästigt fühlen und hat dann die Grenzwerte so festgelegt. Heute gibt es viel genauere Daten, die in grossen Studien mit mehr als 2000 Personen über Jahre hinweg erhoben wurden.
Neben den Umfragen blickt die Wissenschaft dabei auch auf körperliche Daten, kombiniert diese mit Modellrechnungen und kann so genau wie nie zuvor sagen, wie schädlich Lärm wirklich ist.
Deutlich höheres Herzinfarkt-Risiko bei Lärm
Umwelt-Epidemiologe Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel betont die vielen Fortschritte der Lärmforschung in den letzten zehn Jahren: «Man weiss heute, dass kardiovaskuläre Erkrankungen und auch Diabetes durch Lärm verursacht werden.»
Die Zahl der Herzinfarkte etwa nimmt graduell zu, je nachdem, wie viel Lärm man in der Nacht ausgesetzt ist. Pro zehn Dezibel steige das Herzinfarkt-Risiko um zwei bis vier Prozent, erklärt Röösli. Und dies betreffe nicht nur Menschen, die besonders sensibel auf Lärm reagierten: «Lärmeffekte finden sich auch bei Personen, die sich vom Lärm nicht belästigt fühlen oder als lärmunempfindlich bezeichnen.»
Pro zehn Dezibel steigt das Herzinfarktrisiko um zwei bis vier Prozent.
Eine Million lebt mit Lärm über den Grenzwerten
Nun ist die Lärmbelastung in den letzten Jahren in der Schweiz zwar vielerorts gesunken: Fenster sind besser isoliert als früher, die Zahl der Lärmschutzwände ist markant gestiegen, Flugzeuge und Bahnwagen sind leiser geworden.
Und trotzdem leiden noch immer etwa eine Million Menschen in der Schweiz an Lärm-Immissionen, die über den heute geltenden Grenzwerten liegen. Mit Abstand am weitesten verbreitet ist der Strassenlärm.
Kommission fordert tiefere Grenzwerte
Die Eidgenössische Kommission für Lärmbekämpfung empfiehlt jetzt aufgrund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Lärmgrenzwerte nach unten anzupassen: tagsüber minus drei Dezibel bei der Bahn und beim Flugverkehr. In der Nacht sollten es bis zu minus drei Dezibel beim Flugverkehr, minus zwei Dezibel bei der Bahn und minus ein Dezibel beim Strassenverkehr sein.
Das tönt nach wenig. Doch sei eine Reduktion um drei Dezibel nicht zu unterschätzen, sagt Akustikspezialist Marc Wunderli von der Empa, Präsident der Kommission für Lärmbekämpfung. Am Beispiel des Strassenverkehrs sagt er: «Drei Dezibel Reduktion entspricht einer Halbierung des Verkehrs. Man kann das auch mit der Reduktion von Tempo 50 auf Tempo 30 erreichen. Ähnlich wirksam ist ein lärmarmer Belag.»
Drei Dezibel Reduktion entspricht einer Halbierung des Verkehrs. Man kann das auch mit Tempo 30 statt Tempo 50 erreichen.
Nacht-Grenzwerte um eine Stunde verlängern
Im Weiteren empfiehlt die Kommission, die Nacht-Grenzwerte auszudehnen: «Es hat sich gezeigt, dass an der heute geltenden Grenze um 6 Uhr morgens noch rund 70 Prozent der Personen am Schlafen sind. Wir empfehlen darum, diese Grenze um eine Stunde auf 7 Uhr zu schieben», so Wunderli.
Die empfohlenen neuen Grenzwerte sind zwar immer noch deutlich über den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Doch Wunderli sagt: «Die vorgeschlagenen Verschärfungen sind relativ happig. Es braucht grosse Anstrengungen zur Einhaltung und ein schnelles Anpacken, um das Ziel in absehbarer Zeit zu erreichen.»
An der heute geltenden Grenze um 6 Uhr sind noch 70 Prozent der Menschen am Schlafen.
Der Entscheid liegt nun beim zuständigen Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK und dann beim Bundesrat, ob die Empfehlungen der Kommission umgesetzt werden – und wenn ja, wie schnell.