- Deutsche Behörden kritisieren die Schweiz für ihre Asylpolitik.
- Anstoss der Kritik sind die rund tausend Flüchtlinge, die jede Woche in Buchs (SG) ankommen und von den Schweizer Behörden nicht an der Weiterreise gehindert werden.
- Das Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM) sieht aber keine Rechtsgrundlage, diese Menschen festzuhalten.
Sie kommen mit dem Zug aus Österreich. Und die meisten von ihnen wollen direkt weiter – nach Frankreich etwa, oder Deutschland. Die Schweizer Grenzwache kontrolliert die Ankommenden zwar und prüft, ob jemand polizeilich gesucht wird – ist dies nicht der Fall, lassen die Grenzwächter die Flüchtlinge aber weiterziehen. Die Polizei im Kanton St. Gallen bestätigte «NZZ am Sonntag» die Praxis: «Wir erlauben formell die Weiterreise».
In Deutschland stösst das zunehmend auf Unmut: Die illegalen Einreisen nach Deutschland hätten dermassen zugenommen, dass die Polizei bereits erhebliche Probleme habe, sagt Andrea Lindholz, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, in der «NZZ am Sonntag». Die Schweiz müsse ihre Pflichten als Mitglied des Schengenraums erfüllen. «Wenn diese Berichte zutreffen, betreibt die Schweiz ein reines Durchwinken.» Auch das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sagt: Die Schweiz handle nicht im Sinne des Dublin-Abkommens. Einfach Durchwinken gehe nicht, die Rechtslage sei eindeutig.
SEM sieht keine Rechtsgrundlage
Die SRF-Sendung «Rundschau» hatte Anfang Oktober gezeigt, dass die SBB Migranten, die aus Österreich in Buchs (SG) eintreffen, eigene Waggons für die Weiterfahrt über Zürich nach Basel bereitstellt. Für Lindholz fördert die SBB damit die illegale Einreise nach Deutschland. Sie fordert ein Einschreiten der Schweizer Behörden. «Die Schweiz muss ihre Pflichten als Mitglied des Schengenraumes erfüllen und gegen illegale Migration vorgehen.»
Das Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM) sieht aber keine Rechtsgrundlage, um die Menschen festzuhalten. Für die SBB bestehe eine Transportpflicht. Und bevor ein Dublin-Verfahren durch sei, das feststellen soll, welches Land für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig sei, seien die Menschen längst weitergereist. «Für Personen, die nicht mehr anwesend sind, kann kein Dublin-Verfahren durchgeführt werden», sagte der SEM-Sprecher der Zeitung. Das Dublin-Abkommen werde eingehalten, hält das Amt fest.
Experten sind sich uneinig
Die Professorin für Migrationsrecht, Sarah Progin-Theuerkauf, bezeichnete die Weiterleitung der Migranten in der «Rundschau»-Sendung als «Rechtsverstoss, und das ist nicht mit dem Dublin-Abkommen vereinbar.» Denn ein Asylverfahren müsse in dem Land durchgeführt werden, in das ein Flüchtling nachweislich zuerst einreiste.
Ein anderer Professor für Migrationsrecht, Alberto Achermann, sieht das anders: «Dublin greift erst, wenn eine Person ein Asylgesuch stellt», sagte er der «NZZ am Sonntag». Das tun die Migranten, die in Buchs ankommen, in der Regel nicht.