Alex sitzt auf eine Steinmauer auf dem Platzspitz. Für ihn ist die ehemalige Drogenhölle heute ein normaler, schöner Ort. Dass er jemals so positiv über den Platzspitz sprechen würde, hätte er noch vor wenigen Jahren nie gedacht. Denn hier kam der Bauernsohn mit 16 Jahren erstmals in Kontakt mit illegalen Drogen.
Begonnen habe alles aber schon früher – zuhause. Alex ist auf einem Bauernhof aufgewachsen, zusammen mit einem Bruder und vier Schwestern. Die Familie habe neben dem Bauernhof auch ein Restaurant betrieben. «Dort hatte ich den ersten Kontakt mit Drogen – meine ersten Alkoholräusche hatte ich mit 13 Jahren.»
Hasch, LSD, Kokain – und Alkohol
Mit 14 ging Alex erstmals nach Zürich. Gleich beim Bahnhof war die sogenannte Haschgasse, wo Dealer weiche Drogen verkauften. Nur wenige Schritte entfernt, auf der anderen Seite des Bahnhofs, war der Platzspitz mit der damals offenen Drogenszene. Zunächst hätten ihn vor allem die psychedelischen Drogen interessiert, später auch Kokain.
Neben LSD und Kokain kam auch immer viel Alkohol dazu. Der gelernte Metallbauschlosser war etwas über 20 als er sich erstmals Heroin spritzte. Er hatte sich die Droge am Letten besorgt, welcher den inzwischen geräumten Platzspitz abgelöst hatte. Alex hielt sich nie lange dort auf, er besorgte sich nur den Stoff.
Vor 24 Jahren: Schliessung des Letten
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Bild 1 von 13Legende: Ende 70er-Jahre entstehen erste offene Drogenszenen in Zürich (Niederdorf, Platzspitz, Letten) und in Bern (Kleine Schanze, Kocherpark). Keystone
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Bild 2 von 13Legende: Nach der Sperrung des Platzspitzes im Februar 1992 verlagert sich die Szene flussabwärts zum Letten. Keystone
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Bild 3 von 13Legende: Seit Anfang der 1990er-Jahre verfolgt der Bundesrat die sogenannte Vier-Säulen-Strategie von Prävention, Therapie, Schadensverminderung und Repression – ein Mittelweg zwischen Repression und Freigabe. Keystone
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Bild 4 von 13Legende: Der Drogenumschlagplatz steht damals unter ständiger Beobachtung. Über Zürich und seine offene Drogenszene berichten die Medien weltweit. Keystone
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Bild 5 von 13Legende: Im Milieu tobt unter den Drogendealern ein massiver Konkurrenz-Kampf. Der Grammpreis für Heroin bricht in dieser Zeit von 400 auf 100 Franken ein. Keystone
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Bild 6 von 13Legende: Zwischen 1992 und 1994 beginnen erste Projekte mit einer ärztlich kontrollierten Drogenabgabe. Keystone
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Bild 7 von 13Legende: Eine Szene vom Juni 1993: Sonnenbaden mit Ausblick. Während man auf der einen Seite der Flusses die Sonne geniesst, herrschte auf der anderen Seite reges Treiben. Keystone
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Bild 8 von 13Legende: Tod durch die Nadel – oder beinahe. Nicht selten müssen Sanitäter in Not helfen... Keystone
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Bild 9 von 13Legende: und auch Nonnen stehen den Drogenabhängigen zur Seite. Keystone
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Bild 10 von 13Legende: Am 14. Februar 1995 schliesst die Stadt das Gebiet am oberen Letten. Die Abhängigen weichen auf die verschiedenen neu geschaffenen Anlaufstellen und in das Langstrassenquartier aus. Die Bilder einer offenen Drogenszene gehören fortan der Vergangenheit an. Keystone
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Bild 11 von 13Legende: Bis 1996 werden bei über 1000 Abhängigen Versuche mit der ärztlich kontrollierten Abgabe von Heroin, Morphin und Methadon durchgeführt. Keystone
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Bild 12 von 13Legende: Heute ist die Letten-Gegend ein Entspannungsort, vor allem im Sommer. Keystone
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Bild 13 von 13Legende: Und so sieht ein Fixerstübli aus: Es ermöglicht den Drogensüchtigen ihren Stoff sauber und stressfrei zu konsumieren. Keystone
Auf die Junkies im Letten habe er hinabgeschaut und sich gesagt: «Wenn ich dann mal so drauf bin wie die, dann muss ich etwas verändern.» Er habe damals schliesslich noch gearbeitet. Doch die Drogen hätten ihn längst voll im Griff gehabt. Rechnungen zahlte er nicht mehr, bald verlor er auch Auto und Job. Mit 26 Jahren begann Alex mit Entzugsprogrammen, teils auch stationär. «Clean werden war kein Problem. Aber clean bleiben, war das Problem.»
Dann lernte er die Selbsthilfegrupe Narcotics Anonymous (NA) kennen und ging an ein erstes Treffen. Dieses müsse man sich vorstellen wie bei den anonymen Alkoholikern, man stelle sich im Kreis vor und erzähle von sich. Die Organisation wurde bereits in den 1950er-Jahren in den USA gegründet uns ist heute weltweit aktiv. Alex gefiel es bei den Treffen. Ihm habe dieser Austausch mit Gleichgesinnten geholfen, sagt der heute 52-Jährige.
Hilfe von anderen Süchtigen
Das Ziel der NA ist es, dass man lernt, drogenfrei zu leben. Mit einem zwölf-Punkteprogramm soll dieses Ziel erreicht werden. Heute hat Alex es geschafft. Seit 17 Jahren ist er clean. Trotzdem ist er sich im Klaren darüber, dass er ein Süchtiger ist und bleibt. Deshalb lasse er nicht nur die Finger von illegalen Drogen, sondern trinke auch keinen einzigen Tropfen Alkohohl mehr.
«Ein einziges Glas kann fatale Folgen haben für mich». Es sei vergleichbar mit jemandem, der allergisch auf Erdbeeren sei. «Er kann an einem allergischen Schock ersticken. Auch ich kann wegen einem Glas völlig abfucken und in der Gosse landen, wo ich damals war.»
An den Treffen der NA-Selbsthilfeorganisation nimmt er weiterhin regelmässig teil. Denn Alex sagt: er sei nicht geheilt, er sei einfach abstinent.