Seit der Einführung der Ausgangssperre haben bei der Polizei in Frankreich die Anrufe wegen häuslicher Gewalt um 30 Prozent zugenommen. Ähnliche Schreckensszenarien wurden auch in der Schweiz erwartet. Nun aber gaben verschiedene Polizeikorps Entwarnung. Sie müssen nicht öfter als in normalen Zeiten wegen häuslicher Gewalt ausrücken. Auch die Frauenhäuser melden keine ungewöhnliche Zunahme der Gefährdungsmeldungen.
Anstieg könnte noch kommen
Das sei zunächst mal eine gute Nachricht, sagt Katja Niemeyer, Geschäftsführerin des Frauenhauses Winterthur. Aber die Erfahrung zeige, der Anstieg komme noch. «Das ist etwas, das wir beispielsweise gerade über die Feiertage oder in Ferienzeiten öfter beobachten», erklärt Niemeyer. «Die Anrufe kommen dann meistens nach den Feiertagen oder den Ferien. Das heisst, wenn der Gefährder nicht mehr zu Hause ist und das Opfer überhaupt die Möglichkeit hat, Hilfe zu holen.»
Diese Einschätzung teilt Marlies Haller. Sie ist Geschäftsführerin der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern, die das Frauenhaus in Bern und Thun führt. Wenn alle zu Hause bleiben müssen – also Täter und Opfer – sei ein Hilferuf häufig gar nicht möglich.
Viele Frauen sagten, sie könnten nur zu bestimmten Zeiten telefonieren – wenn der Mann nicht zu Hause sei. «Jetzt ist er wahrscheinlich rund um die Uhr zu Hause», betont Haller. Keine Zunahme der Meldungen heisse also noch nicht, dass es keine Zunahme der Fälle gebe.
Frauenhäuser bereiten sich vor
Eine andere Erklärung für den vorläufig positiven Trend könnte aber auch die vergleichsweise sanfte Form der Ausgangsbeschränkungen sein, so Haller. Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien dürfe man in der Schweiz ja noch nach draussen. Das könne brenzlige Situationen entschärfen.
«Es kann sein, dass die Stressfaktoren durch die Massnahmen etwas geringer ausfallen als in diesen Ländern, wo niemand mehr raus darf», so Haller weiter. Wie lange die verhältnismässig gute Situation anhalte, müsse sich aber noch zeigen. Die Frauenhäuser jedenfalls bereiten sich trotzdem auf viel Arbeit vor.